|
<< zurück | Home |
JWD-Nachrichten |
Teilen
|
04.04.2018 17:00
Fall Skripal - Sanktionen, Lügen,
Eskalation und 64 offene Fragen
Auch einen Monat nach der
Vergiftung des russischen Doppelagenten Sergej Skripal
und seiner Tochter Julia im britischen Salisbury scheinen die britischen
Ermittlungsbehörden kein einziges Indiz gefunden zu haben, mit dem man auf einen
möglichen Tatverdächtigen schließen könnte. Erst gestern bestätigte der Leiter
des britischen Chemiewaffenlabors in Porton Down
noch einmal offiziell, was
Leser der NachDenkSeiten
dank des ehemaligen britischen Diplomaten Craig Murray schon seit dem 19.
März wissen – die Laboranalysen konnten kein Indiz auf eine russische Herkunft
des eingesetzten Kampfstoffes liefern. [Quelle:
nds.de / Jens Berger] JWD
|
Screenshot | Quelle: nds.de |
Russland hat derweil die Organisation für das Verbot chemischer Waffen zu
einer Sondersitzung einberufen und der Öffentlichkeit 64 offene Fragen zum Fall Skripal präsentiert … die aggressiven diplomatischen Sanktionen, mit denen der
Westen in den letzten Wochen gegen Russland vorgeht, stehen auf immer tönernen
Füßen. Doch offenbar kommt die Politik damit durch, da die Medien Vogel Strauß
spielen.
Boris Johnsons große LügeInterviewerin: Sie behaupten, dass das Nervengift – Nowitschok – aus Russland
stammt. Wie konnten Sie das so schnell herausfinden? Besitzt Großbritannien
Proben davon?
Boris Johnson: Lassen Sie mich dies klarstellen … Wenn ich auf den Beweis der
Leute von Porton Down, dem Labor, schaue … dann waren sie sehr bestimmt. Ich
fragte den Mann selbst: ‘Sind Sie sicher?’ Und er sagte: ‘Es gibt keinen
Zweifel.’ Daher haben wir kaum eine Alternative, als uns für die Aktion zu
entscheiden, die wir ausgeführt haben“.
Der britische Außenminister Boris Johnson in einem
Interview mit der Deutschen
Welle am 20. März Dieses Zitat von Boris Johnson ist in seiner Qualität durchaus vergleichbar mit
den
vorsätzlichen Falschaussagen, die der ehemalige US-Außenminister Colin
Powell vor etwas mehr als 15 Jahren vor dem UN-Sicherheitsrat bezüglich der
angeblichen Massenvernichtungswaffen Iraks vorgetragen hat. Johnson wusste zum
Zeitpunkt des Interviews, das die Experten in Porton Down nicht nur keinen
Hinweis auf eine russische Herkunft des analysierten Kampfstoffes finden
konnten, sondern sich sogar aktiv dagegen verwehrten, in diesem Sinne durch die
britische Regierung zitiert zu werden. Craig Murray schreibt in diesem
Zusammenhang von einer
Drohkulisse der britischen Regierung, die gegenüber den
Forschern in Porton Down aufgebaut wurde. Und dass solche Drohkulissen ernst
gemeint sind, ist spätestens seit dem Tod von
David Kelly bekannt. Der Porton-Down-Wissenschaftler Kelly starb 2003 auf bis heute ungeklärte Weise
wenige Tage nachdem er das britische „Irak-Dossier“, in dem – wie wir heute
wissen nicht vorhandene – irakische Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund
präsentiert wurden, gegenüber einem Journalisten als Lüge der Blair-Regierung
bezeichnete. Parallelen zu einem vermeintlichen „Russland-Dossier“ sind nicht
von der Hand zu weisen.
Screenshot | Quelle: nds.de |
Bild: Deutsche Welle
Tony Blair erklärte Irak 2003 auf Basis des gefälschten „Irak-Dossiers“ zusammen
mit den USA und einer „Koalition der Willigen“ den Krieg. Theresa May erklärte
Russland auf Basis der von Boris Johnson erlogenen russischen Herkunft des
Kampfstoffes aus Salisbury zwar nicht den Krieg – die mittlerweile 151 von
Großbritannien und einer „Koalition der Willfährigen“ (darunter auch
Deutschland) ausgewiesenen russischen Diplomaten und die massive Eskalation der
Spannungen zwischen dem Westen und Russland sind in dieser Form bislang jedoch
ebenfalls einmalig. Nachdem nun klar ist, dass Boris Johnson beim einzigen und
damit entscheidenden Indiz, mit dem diese diplomatische Konfrontation begründet
wurde, vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hat, wäre es eigentlich an der Zeit,
seinen Rücktritt zu fordern.
Heiko Maas zeigt sich solidarisch
Das Gleich gilt – wenn auch in etwas abgeschwächter Form – für den deutschen
Außenminister Heiko Maas. Maas hatte die Äußerungen von Johnson 1:1 ungeprüft
übernommen und als Position des Auswärtigen Amtes und damit der Bundesregierung
dargestellt, um die Ausweisung russischer Diplomaten aus Deutschland als „Akt
der Solidarität“ mit Großbritannien zu begründen: „Die Ermittlungsergebnisse der britischen Regierung zeigen, dass eine russische
Verantwortung in hohem Maße wahrscheinlich ist und es keine andere plausible
Erklärung gibt.“ Das Auswärtige Amt hat sich in dieser brisanten Frage also voll und ganz auf die
Erklärung der Briten verlassen. Doch wenn man Johnsons Aussagen, die zu diesem
Zeitpunkt bereits als vorsätzliche Falschaussagen unter Verdacht standen, einmal
herauslässt, bleibt keine „plausible Erklärung“, sondern nur noch eine wüste
Verschwörungstheorie ohne ein einziges Indiz stehen. Kann es sein, dass unser
neuer Außenminister auf Basis einer wüsten Verschwörungstheorie Diplomaten eines
befreundeten Staates ausweist? Man muss ja nicht gleich von einem
„NATO-Strichjungen“ sprechen; aber eine wie auch immer geartete Befähigung für
dieses wichtige Amt scheint Heiko Maas sicherlich nicht in den Genen zu liegen.
Fragen über Fragen
Abseits von Johnsons Lügen, Maas´ Verschwörungstheorien und der wieder einmal
wie gleichgeschaltet wirkenden unkritischen Berichterstattung der großen Medien
haben sich auch einen Monat nach dem Giftanschlag leider nur sehr wenig
belastbare neue Informationen ergeben. Ermittlungen der Polizei wollen nun
herausgefunden haben, dass der Giftanschlag nicht im Einkaufszentrum von
Salisbury, sondern
direkt vor der Haustür von Sergej Skripal stattgefunden haben
soll. Das erstaunt zumindest den Laien, da die Skripals nach dem Verlassen des
Hauses mindestens zwei Stunden in einem Pub und einem Restaurant verbracht
hatten, bevor man sie bewusstlos auf einer Bank im Einkaufszentrum auffand. Ist
es denkbar, dass ein derart hoch toxisches Nervengift, bei beiden Opfern zwei
Stunden gar keine Symptome auslöst und dann zeitgleich zu einem komatösen Schock
führt? Aber wie schon angedeutet: Solche sehr technischen Fragen sollen lieber
Experten beantworten. Als Journalist lässt sich hier bestenfalls spekulieren.
Spekulation ist bislang auch alles aus dem Umfeld der beiden Opfer. Womit hat
beispielsweise Sergej Skripal überhaupt sein Geld verdient? War er erwerbslos?
Wer war sein Arbeitgeber? Hatte er berufliche oder private Verbindungen zu
Christopher Steele und Orbis, wie es der angesehene Telegraph kurz nach dem
Anschlag
vermeldete? Die NachDenkSeiten
berichteten darüber, aber mir ist nicht
bekannt, dass diese durchaus interessante Querverbindung seitdem noch einmal
aufgegriffen wurde. Dabei könnten Antworten auf die Frage nach dem beruflichen
Umfeld von Sergej Skripal durchaus zu Indizien führen, die in diesem
unübersichtlichen Fall auch zu neuen Spuren und neuen Verdächtigen führen
könnten. Aber das will die britische Regierung offenbar nicht, bietet die
aggressive Gangart gegen Russland doch eine ganz hervorragende Ablenkung für
Mays miserable Performance bei den Brexit-Verhandlungen und der Debatte um den
nationalen Gesundheitsdienst NHS, bei der die Tories sich einmal mehr grandios
blamieren.
Geradezu beängstigend ist jedoch, dass Mays „Koalition der Willfährigen“ dieses
Ablenkungsmanöver mitmacht. Auch das deutsche Vorgehen hat ja nichts mit
„Solidarität“ zu tun. Alleine die Vorstellung, dass Merkel oder Maas May und
Johnson auch nur ein Wort glauben, beleidigt den Intellekt. Nein, Deutschlands
aggressives Vorgehen ist nicht „solidarisch“, sondern im Zusammenhang einer
größeren Spannungspolitik zu sehen, die wir auf den NachDenkSeiten schon seit
Jahren thematisieren und kritisieren.
Dazu gehört auch, dass die russischen Argumente überhaupt nicht wiedergegeben
werden und alles, was nicht ins Bild passt, gnadenlos totgeschwiegen wird. Um
diese Mauer des Schweigens zu brechen, hat sich Russland entschieden, die
Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zu einer Sondersitzung
einzuberufen und dort unter anderem
13 offene Fragen zu diskutieren, die man der OPCW vorab präsentiert hat. Diese Fragen reihen sich in einen ganzen Katalog
ein. Parallel dazu hat man der britischen Regierung weitere
14 offene Fragen und
der französischen Regierung, die offenbar ohne erkennbaren Grund in die
Ermittlungen einbezogen wurde, ebenfalls
10 offene Fragen gestellt. Den
Fragenreigen schließt eine
Liste mit 27 offenen
Fragen an die britischen Ermittlungsbehörden, die unser Kollege M.W.
dankenswerterweise auch ins Deutsche übertragen hat (siehe Anhang).
Am Freitag werden die NachDenkSeiten in diesem Fall noch einmal nachlegen und
versuchen, einige der offenen Fragen zu erörtern und dabei auch auf vorhandene
Leserfragen und –anmerkungen einzugehen.
Anhang:
Pressemitteilungen und Nachrichten
Der Pressesprecher der Botschaft zu unbeantworteten Fragen über die Vergiftungen
in Saliburi.
Frage: Bei der gestrigen Konferenz sagte der offizielle Vertreter des russischen
Außenministeriums, dass die Botschaft einige Fragen gestellt habe, die bis jetzt
unbeantwortet geblieben sind. Welche Fragen sind das?
Antwort: Ja, in der Tat, wir sind Zeugen eines eklatanten Verstosses von Seiten
des Vereinigten Königreiches ihren Verpflichtungen der Wiener Konvention von
1963 über die konsularischen Beziehungen gegenüber und gegenüber dem bilateralen
konsularischen Abkommen von 1968. Wir haben keine Antwort auf unsere mehrmaligen
Anfragen und Forderungen bekommen, die wir auf diplomatischem Weg gestellt
haben. Das britische Versäumnis, sich am diplomatischen Austausch zu beteiligen
ist mehr als bedauerlich.
Die Fragen, auf deren Antwort wir warten sind die folgenden:
- Was ist die genaue Diagnose von Herr und Frau Skripal und wie ist deren
Verfassung?
- Welche Behandlung bekommen sie?
- Ist die Behandlung die selbe als diejenige, die Sgt. Nick Bailey bekommen hat?
- Stimmt es, dass Yulia Skripal das Bewusstsein wiedererlangt hat und sich
mitteilen, sowie essen und trinken kann?
- Herr Bailey wurde aus dem Krankenhaus entlassen, Yulia Skripal geht es bereits
besser, aber warum ist Sergei Skripal noch immer in kritischem Zustand?
- Bekamen Herr Bailey, sowie Herr und Frau Skripal ein Gegenmittel?
- Welches Gegenmittel?
- Wie wurden die richtigen Gegenmittel bestimmt?
- War das Verabreichen hilfreich oder verschlimmerte es ihren Zustand?
- Die Botschaft informierte sofort das (britische) Außenministerium darüber, dass
die Nichte von Herrn Skripal Aufschluss über den Gesundheitszustand ihres Onkels
und ihrer Kusine erbeten habe. Warum haben die Behörden sie ignoriert?
- Warum gibt es keine Fotos oder Videos, die belegen, dass die Skripals noch am
Leben und im Krankenhaus sind?
- Haben die Skripals der Ausstrahlung des Bildmaterials von Salisburi CCTV
zugestimmt?
- Wenn nicht, wer hat die Zustimmung in ihrem Namen gegeben?
- Kann diese Person dann auch zustimmen, dass Fotos oder Videos aus dem
Krankenhaus veröffentlicht werden?
- Warum darf das Botschaftspersonal (wörtlich: consuls) die Skripals nicht sehen?
- Wie werden die Ärzte gegen chemische Exponierung geschützt?
- Kann das Botschaftspersonal dieselben Schutzmaßnahmen anwenden?
- Wo, wie und von Wem wurden Blutproben von den Skripals entnommen?
- Wie wurde das dokumentiert?
- Wer kann bezeugen, dass die Daten verlässlich sind?
- Wie können wir sicher sein, dass die Aufbewahrungskette internationalen Normen
entsprach?
- Mit welchen Methoden haben Experten die Substanz so schnell ermittelt?
- Hatten sie ein Muster mit dem sie die Probe vergleichen konnten?
- Woher stammte dann das Muster?
- Nervengifte wirken sofort. Warum war das im Fall Skripal nicht so?
- Quellen deuten an, dass die Kripals in einem Gasthaus, in einem Restaurant, in
ihrem Auto, am Flughafen, zu Hause vergiftet wurden…. Welche Darstellung ist die
offizielle?
- Wie sind die schnellen politischen Handlungen vereinbar mit der Aussage von
Scotland Yard, die Ermittlungen würden „Monate“ in Anspruch nehmen?
Freie Übersetzung aus dem Englischen von WM
[nds.de]
Link zum Originaltext bei ' nachdenkseiten.de ' ..hier
Passend zum Thema:
21.03.2018 00:00
Die Giftgas-Manipulation
Erneut verbreiten professionelle Lügner Desinformation und
Kriegspropaganda.
Es geschah am helllichten Tag: Der rätselhafte Giftanschlag auf den früheren
Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter. Für die britische Regierung und
ihre westlichen Verbündeten ist der Fall klar: Hinter dem Anschlag stecken die
Russen. Der ehemalige britische Botschafter Usbekistans Craig Murray ist anderer
Auffassung... [Quelle:
rubikon.news] JWD
..weiterlesen
18.03.2018 13:00
Attentat auf Ex-Spion –
voreilige Verurteilung Russlands!?
Der russische Ex-Doppelagent Sergej Skripal wird vergiftet. Schuld ist Russland,
sprich Putin, behauptet sofort die britische Regierung im Verbund mit vielen
Leitmedien. Doch viele Ungereimtheiten lassen aufmerken, und die britische
Regierungskrise und Rüstungsambitionen lassen ganz andere Zusammenhänge erkennen... [Quelle:
kla.tv] JWD ..weiterlesen
15.03.2018 12:00
Der
politisch-mediale Komplex und seine Filterblase
Es ist schon wirklich erstaunlich. Wenn man sich beim Kurznachrichtendienst
Twitter einen kurzen Überblick zum
Anschlag auf den russischen Doppelagenten
Sergej Skripal verschaffen will, stößt man auf zwei scharf voneinander getrennte
Welten – die reale Welt mit normalen Nutzern, die die offizielle Lesart der
britischen Regierung hinterfragen und den Fall sehr kritisch diskutieren, und
eine Parallelwelt, in der eine in sich geschlossene Echokammer eben jene Lesart
offensiv transportiert... [Quelle:
nds.de] JWD
..weiterlesen
<< zurück
| Home |
|
Tags: Sanktionen.
Lügen, Eskalation, Giftgas, Sergej Skripal, Manipulation, Propaganda |
|
|
|
|