21.03.2018 00:00 Die Giftgas-Manipulation
Erneut verbreiten professionelle Lügner Desinformation und
Kriegspropaganda.
Es geschah am helllichten Tag: Der rätselhafte Giftanschlag auf den früheren
Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter. Für die britische Regierung und
ihre westlichen Verbündeten ist der Fall klar: Hinter dem Anschlag stecken die
Russen. Der ehemalige britische Botschafter Usbekistans Craig Murray ist anderer
Auffassung... [Quelle:
rubikon.news] JWD
...Er sieht Parallelen zwischen den beweislosen Anschuldigungen heute und der
dreisten Lüge von den irakischen Massenvernichtungswaffen im Jahr 2003. Diese
Lüge verbreiteten die USA und Großbritannien, um ihren Angriffskrieg gegen den
Irak zu legitimieren. Umso wichtiger, heute wachsam zu sein.
Von Rubikons Weltredaktion | RubIKon |
18. März 2018
Quelle: rubikon.news (verlinkt) |
Foto: Robert Hoetink/Shutterstock.com
Von Lügnern erdacht von Craig Murray
Ich habe nun von einer zuverlässigen Quelle aus dem Foreign and Commonwealth
Office bestätigt bekommen, dass die Wissenschaftler des Forschungszentrums
Porton Down nicht in der Lage sind, das Nervengift als aus russischer Produktion
stammend zu identifizieren, und sie darüber verärgert waren, dass Druck auf sie
ausgeübt wurde, die Substanz so einzuordnen. Die Wissenschaftler von Porton Down
wollten sich lediglich auf die Wendung „einer Art, wie sie in Russland
entwickelt wurde“ einlassen und das nach einem ziemlich schwierigen Treffen, auf
dem man sich auf diese Kompromissformulierung einigte.
Die Russen forschten angeblich im „Novichok“ Programm an einer Generation
Nervengifte, die aus im Handel erhältlichen Ausgangsstoffen wie Insektiziden und
Düngemitteln hergestellt werden können. Die Substanz ist in diesem Sinne ein „novichok“
(Neuling, A. d. Ü.). Sie gehört zu diesem Typus Nervengift.
Genauso wie ich mit einem Laptop eines Typus‘ arbeite, der von den Vereinigten
Staaten entwickelt wurde, auch wenn dieses Exemplar in China hergestellt wurde.
Jedem mit einem Whitehall-Hintergrund (Straße im Londoner Regierungsviertel, A.
d. Ü.) ist dies schon seit einigen Tagen klar. Die Regierung hat nie gesagt,
dass das Nervengift in Russland hergestellt wurde oder dass es nur in Russland
hergestellt werden kann. Die exakte Formulierung „eines Typs, wie er von
Russland entwickelt wurde“, wurde von Theresa May im Parlament verwendet, wurde
von Großbritannien im UN-Sicherheitsrat gebraucht, von Boris Johnson bei der BBC
und - dies ist besonders bezeichnend — „eines Typs, wie er von Russland
entwickelt wurde“ ist exakt dieselbe Wendung, die gestern (am 15. März 2018, A.
d. Ü.) in der gemeinsamen Erklärung von Großbritannien, den USA, Frankreich und
Deutschland benutzt wurde:
Dieser Einsatz eines
Nervenkampfstoffes eines Typs, wie er von Russland entwickelt wurde,
stellt den ersten Einsatz eines Nervengiftes in Europa nach dem Ende
des Zweiten Weltkrieges dar.
Wenn niemand von dieser immer gleich lautenden sorgfältig gewählten Formulierung
abweicht, so lässt sich daran erkennen, dass es sich dabei um das Ergebnis eines
sehr heiklen Kompromisses in Regierungskreisen handelt. Mein Informant im
Foreign and Commonwealth Office erinnert sich – wie ich – an den extremen Druck,
der auf die Mitarbeiter des Office ausgeübt wurde, als es darum ging, das
schmutzige Dossier über die irakischen Massenvernichtungswaffen abzusegnen. In
meinen Memoiren „Murder in Samarkant“ beschreibe ich diesen Druck.
Meine Quelle selbst verglich die aktuellen Geschehnisse, insbesondere im
Forschungslabor Porton Down, mit damals. Nicht ich habe sie darauf aufmerksam
gemacht.
Außerdem habe ich die Pressestelle der OPCW (Organisation for the Prohibition of
Chemical Weapons) angeschrieben und sie um Bestätigung gebeten, dass es niemals
einen physikalischen Beweis für die Existenz des russischen Novichoks gegeben
hat und dass das Inspektions- und Vernichtungsprogramm der russischen
Chemiewaffen im letzten Jahr beendet wurde.
Waren Ihnen diese interessanten Fakten bekannt?
Die Inspektoren der OPCW hatten über ein Jahrzehnt lang ungehinderten Zugang zu
allen bekannten russischen Chemiewaffen-Einrichtungen – darunter auch jenen, die
vom angeblichen „Novichok“ Whistleblower Mirzayanov identifiziert wurden – und
letztes Jahr haben die OPCW-Inspektoren die Vernichtung der letzten 40.000
Tonnen russischer Chemiewaffen abgeschlossen.
Im Gegensatz dazu läuft das Programm zur Vernichtung der US-Chemiewaffen erst in
fünf Jahren aus.
Israel verfügt über umfangreiche Chemiewaffenbestände, hat es jedoch bislang
immer abgelehnt, sie gegenüber der OPCW anzugeben. Israel ist kein Vertragsstaat
der Chemiewaffenkonvention und auch kein Mitglied der OPCW. Israel hat die
Konvention zwar 1993 unterzeichnet, sich jedoch geweigert, sie zu ratifizieren.
Denn dies würde bedeuten, dass seine Chemiewaffen inspiziert und zerstört
würden. Zweifellos verfügt Israel über genauso große technische Fähigkeiten wie
jeder andere Staat, „Novishoks“ künstlich herzustellen.
Bis zu dieser Woche herrschte unter Chemiewaffenexperten der beinahe universelle
Glaube – und das entsprach auch der offiziellen Haltung der OPCW – dass
“Novichoks” höchstens ein theoretisches Forschungsprogramm war, den Russen die
eigentliche Produktion jedoch nie gelungen sei. Daher finden sich die „Novichoks“
Substanzen auch nicht auf der OPCW-Liste der verbotenen Chemiewaffen.
Die Wissenschaftler des Forschungszentrums Porton Down sind immer noch nicht
sicher, dass die Russen nun scheinbar doch ein „Novichok“ Gift hergestellt
haben. Daher die Formulierung „eines Typs, wie er von Russland entwickelt
wurde“. Nota bene:
Entwickelt, nicht hergestellt,
produziert oder erzeugt.
Wir haben es hier mit sehr sorgfältig formulierter Propaganda zu tun. Eines
Typs Propaganda, wie er von Lügnern entwickelt wurde.
Nachtrag
Dieser Post hat einen anderen früheren Kollegen dazu gebracht, sich mit mir in
Verbindung zu setzen. Positiv zu vermerken ist, dass das Foreign and
Commonwealth Office Boris (Johnson, A. d. Ü.) davon überzeugt hat, dass er die
OPCW eine Probe untersuchen lassen muss. Aber noch nicht sofort.
Es wird erwartet, dass die Untersuchungskommission unter dem Vorsitz eines
chinesischen Delegierten tagen wird. Boris plant, die OPCW dazu zu bringen,
ebenfalls die Wendung „eines Typs, das von Russland entwickelt wurde“ zu
übernehmen, und dieses Ziel verfolgen derzeit diplomatische Bemühungen in
Beijing.
Vermutlich macht die BBC keinerlei Anstalten, sich journalistisch damit zu
befassen, oder?
Quelle: RT Deutsch via Youtube | veröffentlicht
19.03.2018
Britischer Ex-Botschafter zur
Skripal-Affäre:
„Erstaunlich, dass jemand so etwas
glaubt“
Redaktionelle Anmerkung [Rubikon]: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Of a Type Developed By Liars". Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam
übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert. [...]
Nach dem Mordversuch an dem ehemaligen russischen Spion Sergej
Srkipal und seiner Tochter Yulia sieht Großbritannien in Russland den
Schuldigen. Außenminister Johnson klagt den russischen Präsidenten Wladimir
Putin sogar persönlich an. Und die Medien? Statt aufzuklären werfen sie - ohne
jeden Beleg für eine russische Schuld - die Frage auf, ob die Vorkommnisse nicht
längst den NATO-Bündnisfall ausgelöst hätten. Rechtsstaatlichkeit sieht anders
aus.
Bei dem Mordversuch am 4. März, bei dem auch ein
Polizist vergiftet wurde, kam angeblich das Nervengas Nowitschok zum
Einsatz. Die britische Regierung geht davon aus, dass Russland
„höchstwahrscheinlich schuldig sei“ und stellte Russland ein Ultimatum, sich zu
erklären. Nachdem Russland das Ultimatum verstreichen ließ, wies die britische
Regierung 23 russische Diplomaten aus. Russland antwortete mit der Ausweisung 23
britischer Diplomaten.
Die diplomatischen Drohungen waren damit jedoch noch lange nicht beendet. Am 15.
März gaben Deutschland, Frankreich und die USA eine gemeinsame Erklärung ab, in
der sie Großbritannien unterstützen und deren Verdächtigung teilen. Der
britische Außenminister Boris Johnson, der nicht unbedingt für seinen
diplomatischen Ton bekannt ist, geht sogar noch einen Schritt weiter und spricht
öffentlich von einer direkten Schuld des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Es sei „äußerst wahrscheinlich, dass es seine Entscheidung war“ (1).
Keine Frage, die Lage ist derzeit sehr angespannt und es ist gewiss nicht die
schlimmste zu erwartende Konsequenz, wenn Boris Johnson seiner Mannschaft nicht
bei der Fußball-WM im Stadion zujubelt. Seriöse Medien wie Die Zeit und die
Tagesschau fragen sogar, ob der Einsatz von Chemischen Waffen auf dem Gebiet der
NATO nicht den Bündnisfall auslösen wurde — wobei diese Frage auf der Webseite
der Tagesschau inzwischen gelöscht wurde (2).
Harte Anschuldigungen bedürfen harter
Beweise
Der Ton der Anschuldigungen ist hart. Aber worauf begründet sich die
Schuldzuweisung genau und welche Beweise liegen auf dem Tisch? Nach dem Blick
auf die gemeinsame Erklärung von Deutschland, Frankreich und den USA lässt sich
zusammenfassen, dass diesen Ländern keine Beweise seitens Großbritanniens
vorgelegt wurden. Es heißt schlicht:
„Das Vereinigte Königreich hat seinen Partnern gegenüber im Detail dargelegt,
dass Russland mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verantwortung für diesen Anschlag
trägt“ (3).
Das erinnert ein wenig an die USA, die dem damaligen Bundeskanzler Gerhard
Schröder 25 Minuten Zugang zu ausgewählten Akten gewährten, um ihn von dem
angeblich eindeutigen Beweis, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen,
zu überzeugen. Aber der Reihe nach.
Das Opfer
Wer liest oder hört, dass auf einen ehemaligen russischen Spion ein Mordversuch
unternommen wurde, hat schnell eine instinktive Schuldzuweisung parat: Er macht
dafür das Land verantwortlich, für das er spioniert hat. Wer sonst sollte
Interesse am Tod eines ehemaligen Spions haben?
Die Lage ist aber deutlich komplizierter. Im Jahr 2006 wurde Skripal in Russland
verurteilt, weil er als russischer Spion dem britischen Geheimdienst MI6 die
Identitäten von russischen Spionen verraten hatte, die undercover in Europa
arbeiteten. Er wurde daraufhin für 13 Jahre verurteilt und 2010 vom damaligen
russischen Präsidenten Dimitri Medwedew begnadigt. Skripal kam im Rahmen eines
Gefangenenaustausches frei und lebt seitdem in London (4).
Waleri Morosow, ein Exil-Russe, der in Russland um sein Leben fürchtete und nach
Großbritannien floh, um dort Asyl zu erhalten, zweifelt an dem Interesse
Russlands, seinen Ex-Spion zu ermorden:
„Für Moskau war Skripal nicht besonders bedeutend. Davon bin ich überzeugt. Das
wird jetzt nur so dargestellt.“
Seine Erklärung hierzu ist einleuchtend:
„Er hat nur 13 Jahre Arbeitslager als Strafe erhalten. Das hätte wesentlich
schlimmer für ihn ausgehen können. Ich war im Militär und Diplomatischen Dienst
tätig und bin mir daher auch sicher: Mit dem Austausch nach Großbritannien war
der Fall für den russischen Geheimdienst erledigt. Skripal hatte seine Strafe
erhalten und diese akzeptiert. Daher konnte er auch danach weiter Kontakte nach
Russland pflegen, etwa in die Botschaft. Ich bin daher der Meinung, sie hatten
keinen Grund, ihn nun zu vergiften. In Russland interessiert sich doch niemand
mehr für Agenten wie ihn“ (5).
Betrachtet man die genannten Fakten nüchtern, bleibt die Frage bestehen: Aus
welchem Grund sollte Russland nun den Tod Skripals wünschen, der sein inzwischen
veraltetes Wissen über die Identität von russischen Spionen bereits vor mehr als
einem Jahrzehnt dem MI6 preisgegeben hatte? Was ist das Motiv?
Das Motiv
In der gemeinsamen Erklärung Deutschlands, Frankreichs und der USA heißt es:
„Wir teilen die Einschätzung des Vereinigten Königreichs, dass es keine
plausible alternative Erklärung gibt.“
Diese Begründung macht – gelinde gesagt – etwas sprachlos. Welcher Richter würde
eine Anklage annehmen, nur weil als einziger Mörder der eifersüchtige Ehemann in
Frage kommt?
Waleri Morosow sieht die Täterfrage keineswegs alternativlos:
„Die Täter profitieren von einer günstigen weltpolitischen Lage: Wenn etwas in
Großbritannien in dieser Art geschieht, wird direkt Putin verantwortlich
gemacht. In dieser Hinsicht ist Großbritannien der Himmel für Kriminelle aus
Russland. Und von denen gibt es hier viele“ (6).
Der Journalist Misha Glenny, Mafiaspezialist und Autor einer BBC-Serie über die
russische Mafia, findet den Vorwurf gegen Russland ebenfalls keineswegs
alternativlos:
„Skripal war Teil eines Agentenaustauschs; über seinen Fall haben die britische
wie die russische Seite ein Protokoll unterzeichnet. In der Theorie heißt es,
wer Teil eines Agentenaustauschs war, ist geschützt vor Attacken der anderen
Seite. Ich sehe vier Möglichkeiten. Entweder der Kreml hat beschlossen, dieses
Protokoll bewusst zu missachten, was ich für unwahrscheinlich halte. Oder
innerhalb des russischen Geheimdienstes hat jemand auf eigene Faust gehandelt.
Oder es war ein anderer Geheimdienst. Oder Skripal selbst hat das Protokoll
missachtet und war wieder geheimdienstlich tätig“ (7).
Genauso nahe liegend wie Russland als erster Verdächtiger erscheint, so
widersinnig erscheint die These aus einer anderen Perspektive: Warum sollte die
russische Regierung nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl, bei der laut
Umfragen Putin quasi uneinholbar vorne steht, einen Mordauftrag in
Großbritannien ausführen lassen?
Warum nur wenige Monate vor einem für das Land so wichtigen Ereignis wie die
Fußball-WM? Warum mit einem Nervengas, das angeblich eindeutig Russland als
Schuldigen ausmacht? Warum führt das Nervengas nicht zum sofortigen Tod? Warum
ist „Nowitschok“, das seit 1970 unter der Prämisse entwickelt wurde, von
NATO-Ländern nicht identifizierbar zu sein, innerhalb von drei Tagen von
britischen Wissenschaftlern identifiziert worden?
Das Nervengas
Die Tagesschau erklärt sehr prägnant die Hintergründe zu dem angeblich benutzten
Nervengas: „Nowitschok“ („Neuling“) wurde in den 1970er- und 1980er-Jahren in
der Sowjetunion als chemischer Kampfstoff entwickelt. Es soll rund 100 Varianten
geben. Das als feines Pulver eingesetzte Gift besteht vermutlich aus zwei für
sich harmlosen Komponenten, die beim Mischen hoch gefährlich werden. Es soll
vielfach stärker wirken als herkömmliche militärische Giftgase. Ein beteiligter
Wissenschaftler, Wil Mirsajanow, enthüllte 1992 die Existenz des
Nowitschok-Programms. Er emigrierte 1994 in die USA“ (8).
Folgt man dieser Darstellung erscheint die Schlussfolgerung zwingend, dass es
Russland war (weil nur dieses Land das Nervengas besitzt) oder Nowitschok aus
ihrem Bestand verloren gegangen sein muss. Ganz in diesem Sinne argumentiert die
Premierministerin Theresa May:
„Entweder war dies eine direkte Handlung des russischen Staates gegen unser Land
oder die russische Regierung hat die Kontrolle über ihr Nervengas verloren, das
katastrophalen Schaden anrichten kann, und erlaubt, dass es in die Hände anderer
gerät“ (9).
Der Ton in der eingangs erwähnten gemeinsamen Erklärung ist nur auf den ersten
Blick identisch:
„Der Einsatz eines militärischen Nervenkampfstoffs eines Typs, wie er von
Russland entwickelt wurde.“ Die Formulierung macht stutzig. Denn es heißt hier
ausdrücklich nicht, dass das im Mordversuch verwendete Nervengas in Russland
hergestellt und gelagert wurde, sondern ausschließlich, dass es sich um einen
Typ handelt „wie er von Russland entwickelt wurde“.
Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan Craig Murray weist zu Recht
darauf hin, dass auch in allen Verlautbarungen der britischen Regierung stets
genau diese Formulierung verwendet wird, wenn sie die Herkunft des verwendeten
Nervengases genauer bestimmt (10).
Das Prozedere
Das von der britischen Regierung gewählte Prozedere zur Aufklärung des
Mordversuches ist merkwürdig. Da es sich hier um den Einsatz einer Chemiewaffe
handelt, müsste Großbritannien eigentlich ein Verfahren bei der Organisation für
das Verbot chemischer Waffen (OPCW) einreichen. Daraufhin müsste die OPCW
Russland innerhalb von 24 Stunden um Aufklärung bitten, für die dem Land zehn
Tage gewährt werden (12).
Zwar hat London die OPCW am 8. März informiert und Russland aufgefordert, dem
OPCW „eine vollständige und komplette Offenlegung“ zu geben (13). Aber London
hat kein Verfahren beim OPCW eingeleitet. Jens Berger hat in einem detaillierten
Artikel diesen besonderen Aspekt herausgearbeitet:
„Großbritannien hat also entgegen des klar festgelegten Verfahrensablaufs der
Chemiewaffenkonvention die Phasen der Klarstellung und Feststellung übersprungen
und geht gleich zu einem Verfahrensschritt über, der im Maßnahmenkatalog
eigentlich erst viel später auftaucht“ (14).
Stattdessen hat Großbritannien den UN-Sicherheitsrat angerufen (15).
Interessanterweise besteht Russland wiederum genau auf der Einhaltung des
Verfahrens. Daher erklärte der russische Botschafter bei der OPCW:
„Unsere britischen Kollegen sollten sich daran erinnern, dass Russland und das
Vereinigte Königreich Mitglieder der OPCW sind, das einer der erfolgreichsten
und wirksamsten Mechanismen zur Abrüstung und Nicht-Weiterverbreitung darstellt.
Wir rufen sie auf, die Ultimaten und Drohungen zu unterlassen und zum
rechtlichen Rahmen der Chemiewaffenkonvention zurückzukehren, der es ermöglicht,
diese Art von Situation zu lösen. Wenn London ernsthafte Gründe für den Verdacht
hat, Russland würde die CWC (Chemical Weapons Convention) verletzen – und die
Erklärung des angesehenen Botschafters Peter Wilson zeigt, dass dem so ist –,
empfehlen wir, dass Großbritannien sofort das Verfahren nach Absatz 2 von
Artikel 9 der CWC in Anspruch nimmt. Dieses ermöglicht, uns auf einer
bilateralen Grundlage offiziell zu kontaktieren, um Fragen, Zweifel oder
Bedenken jeglicher Art auszuräumen“ (16).
Darüber hinaus formuliert der russische Botschafter zwei Forderungen, die
nachvollziehbar erscheinen:
„Eine faire Warnung: Wir benötigen substanzielle Beweise für die angebliche
russische Spur in diesem bedeutenden Fall. Großbritanniens Behauptungen, sie
hätten alles, und ihre weltberühmten Wissenschaftler hätten unwiderlegbare
Informationen, die sie uns aber nicht geben werden, werden nicht akzeptiert. (…)
Darüber hinaus wäre es in diesem speziellen Fall legitim für die britische
Seite, Hilfe vom Technischen Sekretariat der OPCW zu ersuchen, um die Analyse
der verfügbaren Proben, die angeblich Spuren einer Chemiewaffe in Salisbury
aufweisen, in einem unabhängigen Labor durchführen zu lassen.“
Die britische Regierung hat nun bei der OPCW angefragt, eine unabhängige
Untersuchung des benutzten Nervengases durchzuführen. Am 19. März – also mehr
als zwei Wochen nach dem Mordversuch – wird die Ankunft der Wissenschaftler in
London erwartet (17).
Sowjetunion ist nicht Russland
Hamish de Bretton-Gordon, ein britischer Chemiewaffenexperte erklärte,
Nowitschok sei in Schichany, Zentral-Russland, entwickelt und produziert worden.
Ihm zufolge findet sich diese Informationen in einem Bericht, den Russland vor
einigen Jahren der OPCW vorlegte (18).
Wie die US-amerikanische Beraterin für Geopolitik Stephanie Fitzpatrick in der
New York Times schrieb, wurde Nowitschok bis 1993 in Nukus, Usbekistan,
getestet, ohne Wissen der dortigen Regierung und unter Missachtung der von
Moskau unterzeichneten Chemiewaffenverträge. Dann zogen die letzten russischen
Wissenschaftler dort ab (19).
Zwischen 1998 und 2003 wurde die Anlage in Nukus unter Aufsicht der USA, die von
der usbekischen Regierung um Hilfe gebeten worden waren, abgebaut und
dekontaminiert. Offiziell wurde dem US-Senat der vollständige Abbau der Anlage
gemeldet (20).
Auch Craig Murray, zum damaligen Zeitpunkt britischer Botschafter in Usbekistan,
bestätigt dies:
„Ich habe die Chemiewaffenanlage von Nukus selber besucht. Sie wurde von der
US-Regierung abgebaut, dekontaminiert und die Bestände zerstört sowie das
Equipment weggebracht. Ich erinnere mich an die Beendigung, als ich dort als
Botschafter tätig war“ (21).
Murray geht noch einen Schritt weiter und betont, es gebe keinen Beweis dafür,
dass Nowitschok in Russland existiert habe. Dem widerspricht die Aussage von
Hamish de Bretton-Gordon.
Hamish de Bretton-Gordon bestreitet, dass Nowitschok jemals in Nukus hergestellt
wurde. Wil Mirsajanov, der jedoch deutlich näher am tatsächlichen Geschehen war,
erklärt, dass in Nukus zwischen 1986 und 1989 Nowitschok getestet wurde (22).
Wenn Nowitschok tatsächlich in Nukus existiert hat, heißt das konkret, dass die
USA theoretisch von der Produktion von Nowitschuk gewusst haben könnten. Es
würde schon sehr erstaunen, dass sich die USA die Gelegenheit entgehen ließen,
Samples aktueller russischer Geheimforschung an Chemischen Waffen mitzunehmen.
Es ist äußerst überraschend und angesichts der glasklaren Verdächtigung seitens
Großbritanniens schlicht erstaunlich, dass sich nicht einmal mit absoluter
Sicherheit sagen lässt, an welchem Ort der ehemaligen UdSSR zuletzt an
Nowitschok geforscht wurde. Klärung können hier nur die Dokumente der OPCW
bringen.
Russland hat offiziell keine Chemiewaffen mehr
Während die USA die vollständige Vernichtung ihrer Chemiewaffen für 2023 geplant
haben, hat Russland die Zerstörung ihrer 40.000 Tonnen chemischer Waffen bereits
im Oktober 2017 abgeschlossen. Dies wurde offiziell in einer Feier der OPCW
bekannt gegeben (23).
Die Inspekteure der OPCW hatten somit Zugang zu allen Laboratorien für chemische
Kampfstoffe und haben die Zerstörung überwacht. Also auch in der angeblich von
der OPCW erwähnten Anlage in Schichany. Wohlgemerkt gehört auch Großbritannien
der OPCW an und man darf annehmen, dass auch britische Inspekteure bei der
Kontrolle in Russland vor Ort waren.
Der britische Botschafter bei der OPCW Peter Wilson gratulierte noch im November
2017 persönlich dem Direktor für die erfolgreiche, überwachte Vernichtung des
gemeldeten russischen Chemiewaffenarsenals. Kein Wort der Kritik, dass Russland
noch Chemiewaffen versteckt haben könnte (24).
Also alles gut? Nein, die Begeisterung im November letzten Jahres hinderte
Wilson nicht daran, vor wenigen Tagen zu behaupten, Russland habe jahrelang
nicht sein vollständiges Arsenal an Chemiewaffen offengelegt (25).
Die verworrene Geschichte des Nowitschuks
Die Geschichte des angeblich verwendeten Nervengases ist kompliziert, was die
Selbstverständlichkeit schwer nachvollziehbar macht, mit der London auf Moskau
als Strippenzieher zeigt. Ein Beratergremium der OPCW machte im Jahr 2013 eine
für den Fall Skripal bedeutsame Erklärung:
„Das Beratergremium SAB hat keine ausreichenden Informationen, um die Existenz
oder die Besitztümer von ‚Nowitschok‘ zu kommentieren“ (26).
Das Problem: Es gebe einfach zu wenig verlässliche Informationen (27).
Existiert Nowitschuk überhaupt?
Im Jahr 2016 kam niemand anderes als Robin Black, der Leiter des Detection
Laboratory, der einzigen britischen Chemiewaffenforschungseinrichtung in Porton
Down, zu einem noch bemerkenswerteren Ergebnis: Es stehe nicht sicher fest, ob
es Nowitschok wirklich gibt. Die einzige schriftliche Quelle hierfür sei
Mirsayanovs zehn Jahre altes Buch (28).
Die Einschätzung Blacks ist umso wichtiger, weil die Inspekteure der OPCW zu
diesem Zeitpunkt Zugang zu allen russischen Laboratorien für chemische
Kampfstoffe hatten und dennoch Nowitschok nicht in die offizielle Liste der
Chemiewaffen aufgenommen haben. Daher kann man daraus nur schlussfolgern, dass
nach Kenntnisstand der OPCW den Russen die vermutlich angestrebte Synthese eben
nicht gelungen ist. Die Medien haben darüber jedoch bis heute nicht berichtet.
Existiert ein Sample?
Eine kleine Frage sei zwischendurch erlaubt. Wenn die britischen Wissenschaftler
innerhalb von drei Tagen das verwendete Nervengas als ein Nowitschuk
identifizieren konnten, das angeblich nur in Russland produziert werden kann
(obwohl interessanterweise diese deutlichen Worte so nie benutzt werden), stellt
sich die Frage: Wie konnten sie das eigentlich schaffen?
Denn wie will man einen chemischen Kampfstoff einwandfrei identifizieren, dessen
man noch nie zuvor habhaft werden konnte? Womit will man das gefundene Nervengas
vergleichen, um es einwandfrei identifizieren zu können, wenn man kein
Vergleichssample besitzt? Und man darf davon ausgehen, dass die Briten kein
Vergleichsample haben, denn ansonsten wären sie ja selbst in der Lage, es zu
produzieren.
Oder wie kämen sie in dessen Besitz, wenn es nur in Russland produziert wurde
und noch nie zum Einsatz kam? Großbritannien hätte in diesem Fall auch
internationales Recht gebrochen, weil sie die Existenz des Nowitschok nicht der
OPCW gemeldet hätten.
Die entscheidende Frage aber: Wieso stellt kein Journalist der britischen
Regierung diese Fragen? Und weshalb verlangen nicht die deutsche, französische
und US-amerikanische Regierung diese Informationen, bevor sie eine gemeinsame
Erklärung formulieren?
Eine Bombe
Am 16. März veröffentliche Craig Murray eine Bombe. Er erhielt von einer höher
gestellten Persönlichkeit die Information, dass die Wissenschaftler von Porton
Down, der einzigen britischen Chemiewaffenfabrik, nicht in der Lage waren, das
im Mordversuch verwendete Nervengas als eindeutig in Russland produziert zu
identifizieren. Daher weigerten sie sich trotz politischen Drucks, dies
offiziell zu bestätigen, sodass man sich auf die Wendung einigte: „ein Typ, der
in Russland entwickelt wurde“ (29).
Niemand widerlegt Craig Murray
Nach den zwei, drei extrem wichtigen Blogeinträgen von Craig Murray, die zu
300.000 Lesern, 12.500 Tweets und 8 Millionen Reaktionen führte, bemerkte Murray
vielsagend: Kein Journalist hatte ihn öffentlich der Lüge und Falschdarstellung
bezichtigt und vorgeführt. Der Verdacht liegt tatsächlich nahe, dass kein
Journalist Material an der Hand hat, die bahn brechenden Vorwürfe Murrays zu
entkräften.
Daher kann man ihm auch nur zustimmen: Es ist ein Skandal, dass kein Journalist
die britische Regierung darauf aufmerksam macht, dass sie stets nur die
Redewendung „Typ, der in Russland entwickelt wurde“ benutzt und nie nachfragt:
„Können Sie bestätigen, dass das im Mordversuch verwendete Nervengas tatsächlich
in Russland produziert wurde?“
Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Aber es passiert nicht (30).
Iran kann es!
Der nächste Akt im Fall Skripal ist die Tatsache, dass es dem Iran bereits 2016
gelungen ist, Nowitschok aus kommerziell erwerblichen Stoffen herzustellen. Der
Iran tat dies in Kooperation mit der OPCW. Das Land meldete auch umgehend den
Erfolg und die OPCW nahm Nowitschuk auf die Liste chemischer Kampfstoffe (31).
Damit fällt jedoch das entscheidende Schlüsselargument endgültig in sich
zusammen, dass das verwendete Nervengas nur in Russland hergestellt werden kann.
Spätestens jetzt sollte Jeder, dem auch nur ansatzweise an einem friedlichen
Miteinander auf diesem Planeten gelegen ist, auf einer unabhängigen Untersuchung
bestehen. Plumpe unbewiesene Schuldzuweisungen helfen niemandem.
Die britische Regierung verteidigt sich
Schließlich ließ die britische Regierung die Darstellungen von Craig Murray
nicht auf sich sitzen und veröffentlichte gestern, am 18. März, eine
Darstellung:
„Wir haben keine Ahnung, worauf Craig Murray sich bezieht.“
Dann eine überraschende Feststellung:
„Es ist klar, dass es sich um ein Nervengas handelt, das in Russland entwickelt
wurde.“
Der Aufwand ist erstaunlich, hatte Murray doch darauf hingewiesen, dass die
britische Regierung genau diese Formulierung immer benutzt, jedoch nie davon
spricht, das Nervengas sei in Russland produziert worden. Was genau soll also
die britische Veröffentlichung belegen und beweisen (32)?
Boris Johnson greift an
Wenige Stunden nach dieser unbeholfenen Darstellung pfeift Boris Johnson zum
Angriff und überbietet bei weitem alle bisherigen Anschuldigungen gegen
Russland:
„Tatsächlich haben wir (eine) Information(en), die darauf hinweisen, dass
Russland innerhalb der letzten zehn Jahren die Anlieferung von Nervengas zum
Zweck von Attentaten erkundet hat. Und ein Teil dieses Programms beinhaltete
auch, Mengen von Nowtischok zu kreieren und zu lagern“ (33).
Zum ersten Mal spricht damit ein Mitglied der britischen Regierung explizit den
Vorwurf aus, das Nervengas sei in Russland produziert worden. Wie Johnson an
einem Sonntag innerhalb weniger Stunden seine Meinung ändern konnte, wird
vermutlich ein Geheimnis bleiben.
Ein Geheimnis, das sich vielleicht dadurch erklärt, dass er seine Sprache sehr
geschickt wählt. Er spricht eben genau nicht von Beweisen, sondern von
Information(en) (im Englischen ist der Singular vom Plural nicht zu
unterscheiden).
Er spricht von „innerhalb“ der letzten zehn Jahre. Das kann sowohl heißen, das
gesamte Jahrzehnt oder einen Tag lang vor zehn Jahren. Erstaunlich also, wie
vage er formuliert, obwohl er die Stufe der Anschuldigungen noch einmal deutlich
erhöht und die Spannung zwischen beiden Ländern noch weiter anwachsen lässt.
Überraschend auch, dass er solch einen radikalen Richtungswechsel in den
Äußerungen zum Mordversuch an einem Sonntag macht. Wie Craig Murray aus eigener
Erfahrung erklärt, müssen solche Offenlegung von geheimen Informationen mit
verschiedenen Geheimdienststellen abgesprochen sein. Daher muss deren Zustimmung
höchstwahrscheinlich bereits am Freitag erfolgt sein. Warum also informiert die
britische Regierung dann nicht das Unterhaus und die OPCW hiervon, sondern
schickt den Außenminister am Wochenende ins Fernsehen?
Einmal mehr kann man nur hoffen, dass die britische Regierung ihren extremen
Anschuldigungen auch wirklich Taten folgt lässt, indem sie nicht nur von
Beweisen spricht, sondern diese tatsächlich präsentiert und einer wirklich
unabhängigen Untersuchung zur Verfügung stellt.
Heute, am 19. März, werden nach Johnsons Aussage die Forscher der OPCW erwartet,
um die Samples des beim Mordversuch verwendeten Nervengases zu untersuchen (34).
Man darf sehr gespannt sein. Die Frage, wie Russland in den letzten zehn Jahren
Nowitschuk entwickeln und lagern konnte, wenn sie zeitgleich bis Oktober 2017
von internationalen Inspekteuren der OPCW überwacht wurden, bleibt ein
Geheimnis.
Insbesondere wenn man bedenkt, dass Nowitschok offenbar so kompliziert zu
synthetisieren ist, dass man hierfür vermutlich eine geeignete
Chemiewaffenanlage benötigt. Diese wurden aber mit Sicherheit von der OPCW
genauestens überwacht. Des Weiteren wäre interessant zu erfahren, weshalb sich
die Experten zwei Wochen zur Analyse auserbeten, während die Briten bereits nach
drei Tagen mit ihrem Ergebnis offiziell Russland verdächtigt haben (35).
Ansonsten Anthrax
Leider viel zu schnell ist der Anthrax-Fall in den USA nach dem 11. September in
allgemeine Vergessenheit geraten. Fünf Menschen kamen ums Leben und 17 wurden
verletzt. Zuerst galten Al-Qaida als eindeutiger Verdächtiger, dann der Irak.
Das FBI leitete die größte Untersuchung in seiner Geschichte ein. Schließlich
viel der Verdacht auf einen US-Amerikaner, auf einen US-amerikanischen
Mikrobiologen, der schließlich Selbstmord beging. Später reichte niemand anderes
als der Leiter der FBI-Untersuchung zwischen 2002 und 2006 Klage gegen einige
Mitarbeiter des US-Justizministeriums und des FBI ein. Bis heute sind die
Anthrax-Morde, die so eindeutig erschienen, noch immer nicht geklärt (36).
Ein kleine Satire
Craig Murray versucht es unterdessen mit Humor:
„Genosse Putin, wir haben erfolgreich im Geheimen in den letzten zehn Jahren
Nowitschok gelagert und vor den Inspektoren der OPCW versteckt. Wir haben unsere
Agenten in geheimen Tötungstechniken durch Nowitschok trainiert. Das Programm
hat mehrere Hundert Millionen Dollar gekostet, aber nun sind wir bereit.
Natürlich wird, wenn wir es zum ersten Mal benutzen, unser Geheimnis enthüllt
sein und wir massiven internationalen Blowback erleiden. Also wer soll unser
erstes Opfer sein? Der Chef eines fremden ausländischen Geheimdienstes? Ein
führender Jihadist in Syrien? Ein wichtiger Nuklearforscher? Oder sogar der Chef
eines Landes? Nein. Es gibt da einen alten Mann in Rente, der in Salisbury lebt,
wie ich weiß. Wir haben ihn vor Jahren aus dem Gefängnis entlassen...“ (37).
# Aber wer war es denn jetzt?
Heißt das, dass Russland nicht für den Mordversuch an Sergej Skripal zuständig
ist? Nein, selbstverständlich lässt sich diese Möglichkeit nicht zweifelsfrei
ausschließen. Aber genauso wenig lässt sich zweifelsfrei urteilen, dass die
russische Regierung dafür verantwortlich ist.
In einem Rechtsstaat müssen glücklicherweise die Ankläger ihre Anschuldigungen
beweisen. Der Angeklagte nicht seine Unschuld. Damit die Parallelen dieses
Vorfalls nicht weiter den massiven Vorwürfen gegen Saddam Hussein entsprechen,
hilft nur eins:
Medien, die nach Beweisen verlangen, keine Vorverurteilung vornehmen, sondern
auch gegenüber Russland das Recht der Unschuldsvermutung gelten lassen, auf das
jeder Rechtsstaat aus gutem Grunde stolz ist und – last but not least –, Medien,
die die wirklich wichtigen Fragen stellen. Fangen wir vorne an: „Können Sie
bestätigen, dass das im Mordversuch verwendete Nervengas tatsächlich in Russland
produziert wurde?“
Entscheidend ist jedoch eine wirklich unabhängige Untersuchung, die die Beweise
offenlegt und die zentralen Fragen beantwortet.
Bei all den aktuellen diplomatischen Muskelspielen, die zunehmend beunruhigende
Dimensionen annehmen, sollte man zudem einen zentralen Gedanken nicht vergessen:
Die Hoffnung auf die Genesung der Opfer.
Ergänzend sei der folgende, sehr aufschlussreiche Artikel zur Lektüre empfohlen:
19.03.2018 [Quelle: voltairenet.org] Die Skripal Affäre
Obwohl die Untersuchung von Scotland Yard gerade erst beginnt, hat die Regierung
von Theresa May den Täter schon gefunden und verurteilt: die wilde Föderation
von Russland und seinen Diktator Wladimir Putin. Alles führt in der Tat zu
dieser Annahme, es sei denn, man kenne die Geschichte des Novitschok: das
liebenswürdige Vereinigte Königreich und die friedlichen USA sollten zumindest
aus dem gleichen Grund auf der Liste der Hauptverdächtigen stehen.
Die Fakten sind einfach: am 4. März 2018 wurden Sergej Skripal und seine Tochter
in Salisbury (Vereinigtes Königreich) Opfer einer Vergiftung durch eine
neurotoxische Substanz. Übrig bleibt zu wissen, wie, von wem und aus welchem
Grund.
Den britischen Behauptungen zufolge handelt es sich um eine Vergiftung durch ein
Nervengift einer organischen Phosphorverbindung der 4. Generation vom Typ "Novitschok
" (im russischen новичок: neues Kind), sowjetischen Ursprungs, gesponsert vom
russischen Staat. Russland bestreitet aber jegliche Beteiligung.
Die Analyse, die folgt, versucht die Genauigkeit wenn möglich, aber zumindest
die Plausibilität der britischen These und der alternativen Hypothesen zu
überprüfen.
Das Übereinkommen über Chemiewaffen, das 1993 von den meisten Ländern die sie
herstellen, unterzeichnet wurde, verlangt den vollkommenen Produktionsstopp
solcher Waffen, den Abbau der Forschungslaboratorien und der Tests, sowie die
Zerstörung der vorhandenen Bestände.
Zur Zeit der Unterzeichnung des Abkommens waren also die Produkte der Klasse "Novitschok"
die neuesten, die geheimsten.
Das Novitchok-5, ein Zweistoffsystem, dessen zwei relativ wenig giftige
Komponenten zum Zeitpunkt der Anwendung gemischt werden und das Reaktionsprodukt
durch Einatmen oder Kontakt mit Haut oder Schleimhaut in Dosen unter 10 mg
tödlich ist, erweist sich bis zu 80 mal gefährlicher als das Sarin Gas der
1930er Jahre. Das bedeutet, dass im Falle einer nahen Anwendung, ein
ausgeklügeltes System die Gefahr für den Aggressor ausschalten muss.
Zum Beispiel hätte eine der beiden an der Ermordung des Halbbruders von Kim
Jong-Un im Jahr 2017 in Kuala Lumpur beteiligten Frauen Anzeichen einer
Vergiftung durch das VX (Nervengift britischen Ursprungs 8 Mal weniger
gefährlich als das Novitschok) gezeigt.
Die obligatorische Benutzung von selbstständigen Taucheranzügen, in speziell
wasserdichtem Material, die im Fernsehen bei der Inspektion von einem
vermeintlich kontaminierten Ort gesehen wurden, zeugt von der Gefährlichkeit des
Produktes. Die Herstellung und Verwendung sind somit genügend heikel, um auch
geschulte nicht-Spezialisten davon auszuschließen. Sie befinden sich in den
2000er Jahren in Orten auf dem Territorium der ehemaligen sowjetischen
Republiken und unter Kontrolle von Moskau, das der legale Verantwortliche des
Abbaus auf allen Stellen ist.
Diese Tatsachen scheinen die britischen Vorwürfe auf Russland, als einzigen
möglichen Schuldigen zu rechtfertigen und daher auch ihre Forderung, den Verstoß
gegen das Abkommen durch den russischen Staat, oder die Erklärung eines
möglichen Kontrollverlustes offen zuzugeben.
Diese auf einer scheinbaren Selbstverständlichkeit basierende Logik leidet unter
mehreren großen Winkelzügen.
1. Die staatlichen Laboratorien, verantwortlich für den Abbau und die
Dekontaminierung von Produktionsstätten und die Prüfung von Chemiewaffen, werden
nach Abschluss dieser Arbeiten in Aktivität gehalten zur Ermittlung u.a. von
illegalen Agenten und zur Dekontaminierung von Attentatsstellen. Sie behalten
rechtlich kleine Bestände der Gifte aller Herkunft, sowie ihre Formeln und
Produktionsweisen, oder das Know-how ihrer Anwendung in einer realen Situation.
Ein Beispiel dazu ist das 15 Kilometer von Salisbury entfernte Porton Down.
2. In den 2000er Jahren ist die Anwendung der Konvention über chemische Waffen
auf die Stellen der ehemaligen Sowjetunion durch die chaotische Situation, die
dem Zusammenbruch der Sowjetunion folgte und der Unabhängigkeit der Republiken,
die eigene Forschungs-, Produktion und Test-Center hatten, erschwert worden. Das
Verteidigungsministerium der USA in voller Übereinstimmung mit Russland,
verbrauchte erhebliche Mittel in Höhe von Hunderten von Millionen von Dollar, um
diese Arbeit zu unterstützen. Dasselbe Ministerium nahm aktiv an dem Abbau der
Entwicklungs- und Teststelle von Nukus teil, in dem westlichen Usbekistan, in
der Nähe der turkmenischen Grenze und der durch die ausgetrockneten Aralsee
entstandenen Wüste, wo sich das exklusive Test-Zentrum von dem Novitschok-5
befand.
Überzeugt von den wachsenden Risiken der ehemaligen UdSSR im Bereich der
Sicherheit ihrer Anlagen, wurden die US-Standards umgesetzt und US-Spezialisten
haben ihren russischen Amtskollegen in der praktischen Arbeit der Demontage
beigestanden. Russische Spezialisten nahm an Kursen, Tagungen und Seminaren in
den USA teil, wo übrigens auch Dr. Vil Mirzayonov seit 1992 lebt, in dem Jahr,
in dem er als Forschungsdirektor über chemische Waffen, die sowjetischen
Fortschritte auf diesem Gebiet anprangerte. Dies brachte ihm die Entlassung ein
und eine kurze Inhaftierung, bevor er in die USA floh, wo er dann mit seinen
amerikanischen Kollegen kollaborierte.
Diese Tatsachen erlauben mit einem Konfidenzniveau in der Nähe von absoluter
Sicherheit den Schluss, dass die USA die umfassende Dokumentation besitzen, um
ein sowjetisches Novitschok identisch mit seinen Anwendungssystemen zu
produzieren und zu steuern, Dank der ganzen zugehörigen Dokumentation,
insbesondere die Bedingungen für die Tests auf dem Gelände. Der gleiche Grad an
Sicherheit kann darauf angewendet werden, dass sie die ursprünglichen Ladungen
mit den damals gesammelten unterschiedlichen Anwendungssystemen besitzen, um die
Dekontamination zu studieren.
Der Anschlag auf die Personen von Sergei Skripal und seiner Tochter Julija kann
ohne den geringsten Zweifel als Provokation bezeichnet werden, und nicht als
einfache Ausführung. Welchen anderen Sinn kann ein Anschlag mit einer
außerordentlich anspruchsvollen Waffe haben, die nicht diskret genug ist, um dem
Scharfsinn der Ermittler zu entkommen und deren russischer Ursprung nicht
geleugnet werden kann.
Die Anklage der Briten impliziert eine russische Provokation. In der Tat, die
klassische Verwendung von Giften – neu bei den Geheimdiensten - war durch die
Suche nach Diskretion geleitet. Niemand kann abstreiten, dass die Zeit, wo die
Nervengifte nicht nachweisbar waren, nun vorbei ist. Da ihre Verwendung derzeit
schnell ausgemacht wird, kann sie nur die Botschaft tragen: "Feinde zittert, der
russische Staat kann mit schrecklichen Waffen einschlagen, wo und wann er will!"
Er verachtet das Völkerrecht und es ist ihm gleichgültig, die Etikette des
„Verfehlten Staates“ zu tragen, die ihm sicher zugeordnet werden wird.
Diese Hypothese gibt Anlass zu einigen Fragen:
Obwohl der russische Staat die Substanzen und das Know-how besessen hat:
Warum jetzt das Völkerrecht verletzen, am Vorabend eines globalen Ereignisses,
der Fußball-Weltmeisterschaft, welcher Russland große Bedeutung beimisst und ein
beträchtliches Budget widmet?
Warum einen ‚debrieften‘ Doppelagenten vernichten, der seit mehr als 5 Jahren
(Wartezeit für eine Auslandsreise für die Mitarbeiter des FSB) begnadigt und
zurückgezogen lebt statt einer repräsentativeren Person als Feind des russischen
Staates und seines Präsidenten?
Wenn man von einem Kontrollverlust spricht, wie und zu welchem Zweck könnte
eine Substanz, die eine Marke der russischen Regierung trägt, aber gut bewacht
ist und hohes Fachwissen erfordert, von einer Einzelperson enteignet oder von
einem pro-russischen, aber außerhalb staatlicher Kontrolle befindlichen Verein
verwendet werden?
Schließlich stößt die Hypothese einer Regierungs-Provokation russischer
Herkunft, und sogar einer dritten prorussischen, auf die Grundfrage des Motivs.
Eine Provokation von russischer Seite, aber von regierungsfeindlicher Seite,
kann nicht ausgeschlossen werden und ist wahrscheinlich Objekt einer russischen
Untersuchung, für die eine von dem Vereinigten Königreich zur Verfügung
gestellte Probe notwendig wäre. Es ist jedoch angesichts der Schwierigkeiten und
Risiken beim Diebstahl des Giftes in einem hochsicheren Labor oder konfrontiert
mit den Launen der illegalen Herstellung und seiner Verwendung, wahrscheinlich,
dass die Wahl eines hypothetischen extremistischen Sponsors von Anfang an auf
eine weniger anspruchsvolle Waffe gefallen wäre, die genauso illegal wäre und
deren russischer Ursprung zweifellos erkennbar wäre.
Aber die Annahme einer antirussischen Provokation durch ein Organ unter
Kontrolle der britischen Regierung oder der USA, kann alle Fragen beantworten.
Was das Motiv betrifft:
Gerechtfertigt oder nicht, die aktuelle britische politische Strategie tendiert
zur Verunglimpfung Russlands, indem man seinen Präsidenten anzielt, unter
Berufung auf seine Missachtung des Völkerrechts und der humanitären Rechte, kurz
gesagt, um Russland aus dem "Konzert der Nationen" zu verbannen. Dieser am
Vorabend eines Ereignisses ereignete Anschlag, auf das Russland zählt, um sein
Bild im Angesicht der Welt wiederherzustellen, dürfte diese Manifestationen
willkommener Weise mit einer gruseligen Atmosphäre umgeben. Der einzige Fehler
wäre in diesem Fall, diese Inszenierung am Vorabend der russischen
Präsidentschaftswahl gewählt zu haben, die dadurch nicht beeinflusst werden
wird, die aber ein paar Monate vor der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft
lässt, während denen die Situation den Strategen entkommen könnte.
Was die Mittel betrifft:
Wie oben erwähnt, ist es fast sicher, dass die USA über ursprüngliche
sowjetische Chemiewaffen verfügen. Eine enge Zusammenarbeit mit dem britischen
Labor Porton Down ist mehr als wahrscheinlich. Die Nähe dieses in chemischen
Waffen hochspezialisierten Labors zum Ort des Verbrechens ist derart, dass
selbst die nachsichtigsten Beobachter mit der Wimper zucken werden.
Was die Opfer betrifft:
Wie für Russland, so stellt Sergei Skripal in seinem Fachgebiet kein Interesse
mehr für die Briten dar. Auf der anderen Seite ist er in der Rolle des Opfers
der russischen Rache akzeptable. Dass seine Tochter auch betroffen ist
akzentuiert das Grauen des Verbrechens und die Missachtung des menschlichen
Lebens seitens seines Aggressors, personifiziert durch den russischen
Präsidenten.
Diese Hypothese basiert auf keinem Beweis und bleibt natürlich noch zu beweisen.
Wie im Fall von Russland kann man keine Möglichkeit vernachlässigen, nicht die
kleinste, von einem Kontrollverlust und von einem nichtstaatlichen Akteur. Sie
hat das Verdienst plausible zu sein, die Palette der Möglichkeiten zu erweitern
und die Argumente zu widerlegen, die auf die russische Regierung als einzig
möglichen Schuldigen dieses Anschlags hinweisen. In der Tat, diese Vermutung,
die auf der sogenannten exklusiven Herkunft von dem Gift basiert, ist
widerlegbar.
Die Anforderungen an die russische Regierung sollten logischerweise auch an die
Regierungen der USA und Gross-Britanniens aus denselben Gründen geschickt
werden.
18.03.2018 13:00 Attentat auf Ex-Spion –
voreilige Verurteilung Russlands!?
Der russische Ex-Doppelagent Sergej Skripal wird vergiftet. Schuld ist Russland,
sprich Putin, behauptet sofort die britische Regierung im Verbund mit vielen
Leitmedien. Doch viele Ungereimtheiten lassen aufmerken, und die britische
Regierungskrise und Rüstungsambitionen lassen ganz andere Zusammenhänge erkennen... [Quelle:
kla.tv] JWD ..weiterlesen
15.03.2018 12:00 Der
politisch-mediale Komplex und seine Filterblase
Es ist schon wirklich erstaunlich. Wenn man sich beim Kurznachrichtendienst
Twitter einen kurzen Überblick zum
Anschlag auf den russischen Doppelagenten
Sergej Skripal verschaffen will, stößt man auf zwei scharf voneinander getrennte
Welten – die reale Welt mit normalen Nutzern, die die offizielle Lesart der
britischen Regierung hinterfragen und den Fall sehr kritisch diskutieren, und
eine Parallelwelt, in der eine in sich geschlossene Echokammer eben jene Lesart
offensiv transportiert... [Quelle:
nds.de] JWD
..weiterlesen