<< zurück | Home | JWD-Nachrichten | Teilen

27.12.2017 00:00
Der leise Tod der öffentlichen Debatte
Der Korridor des als ‚zulässig‘ Deklarierten ist verengt wie lange nicht mehr. - Wer ihn verlässt, muss damit rechnen, von denen, die das Sagen haben, ausgegrenzt und stigmatisiert zu werden. Widerstand gegen die Ächtung von Dissens ist dringend geboten. Dazu brauchen wir freie und emanzipatorischen Zielen verpflichtete Medien — wie den Rubikon! [Quelle: rubikon.news] JWD

Von Rainer Mausfeld  |  RubIKon |  23. Dezember  2017
 


 Screenshot | Quelle: rubikon.news  |  Foto: Niyazz/Shutterstock.com

Der leise Tod der öffentlichen Debatte

 
 

 
Im gesellschaftlichen Bereich scheint es, mehr noch als in anderen Bereichen des Lebens, sehr viel leichter zu sein, Alpträume Realität werden zu lassen als Träume in Realität zu verwandeln. Gesellschaftliche Utopien Realität werden zu lassen, erfordert lange und mühevolle kollektive Anstrengungen sowie aktives engagiertes Handeln.

    Alpträume jedoch können bereits durch Nicht-Handeln und Unterlassen, durch stillschweigende Duldung und politische Apathie Wirklichkeit werden.


Der Traum von einer menschenwürdigen, also demokratischen Gesellschaftsordnung gehört zu den bedeutendsten Leitideen der Zivilisationsentwicklung. Es liegt in der Natur der Macht, dass Demokratie nur für die Machtunterworfenen ein zivilisatorischer Traum ist, da es dabei gerade um eine Einhegung illegitimer Macht geht. Für die jeweils Mächtigen hingegen war und ist eine wirkliche Demokratie gerade ihr Alptraum. Denn Demokratie würde ihre Macht massiv einschränken. Folglich haben sie seit je alle Formen demokratischer Strukturen und auch die Idee von Demokratie selbst massiv bekämpft, verhöhnt, unterminiert und zerstört.
 

    Das Herzstück der Demokratie und zugleich die Grundbedingung ihrer Möglichkeit ist ein freier öffentlicher Diskussionsraum, in den sich alle gleichberechtigt einbringen können und der das gesamte Spektrum unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen und Positionen repräsentiert. Die daraus resultierenden Konflikte unterschiedlicher Interessen und Perspektiven sind der Motor demokratischer Debatte.


Geschaffen wird der öffentliche Diskussionsraum erst durch die Medien. Demokratie ist folglich ganz grundlegend auf freie Medien angewiesen, also auf Medien, die nicht in politische und ökonomische Macht- und Interessenkontexte eingebunden sind.

Denn Bürger können nur dann zu einer verantwortungsvollen gesellschaftlichen Teilhabe befähigt werden, wenn sie in angemessener und unverzerrter Weise über alle gesellschaftlich relevanten Fragen unterrichtet werden und wenn zugleich die Medien allen gesellschaftlichen Gruppen ein Sprachrohr bieten, mit dem sich diese gleichberechtigt in den öffentlichen Diskussionsraum einbringen können.

Soweit der zivilisatorische Traum. Die Realität sieht — lässt man sich nicht von rhetorischen Worthülsen blenden — ganz anders aus: Der gegenwärtige öffentliche Diskussionsraum wird in einer nahezu totalitären Weise von einer medialen Allianz einer staatlichen und wirtschaftlichen Oligarchie dominiert, deren Interessenspektrum in den vergangenen Jahrzehnten in allen relevanten Fragen zunehmend homogener geworden ist.

Durch ihre Einbindung in ökonomische Machtstrukturen werden Medien nahezu zwangsläufig zu einem höchst wirksamen Instrument mächtiger ökonomischer Lobbygruppen, die sich auf diese Weise verdeckt in den öffentlichen Diskussionsraum einbringen und das Meinungsklima für ihre Belange günstig stimmen können. Leit- und Massenmedien dienen dabei vorrangig dazu, den gesellschaftlichen und ökonomischen Status derjenigen zu stabilisieren, in deren Besitz sie sind oder von denen sie ökonomisch oder politisch abhängig sind.

Solange kleine oligarchische Interessengruppen den öffentlichen Diskussionsraum dominieren, wird einer Demokratie, die diesen Namen verdient, jede Grundlage entzogen. Wenn die öffentlichen Angelegenheiten zum Privileg der wenigen geworden sind, folgt, wie schon Hannah Arendt betonte, der Tod der öffentlichen Freiheit auf dem Fuße. Genau dies ist in den vergangenen Jahrzehnten in zunehmender und höchst besorgniserregender Weise geschehen:
 

    Alle relevanten politischen Entscheidungen werden durch ökonomisch und politisch mächtige Interessengruppen bestimmt.


Der öffentliche Diskussionsraum wurde durch eine Ideologie extrem verengt, die ihren eigenen ideologischen Charakter leugnet und sich zur puren Rationalität verklärt. Medien und damit der öffentliche Diskussionsraum sind durch einen extremen Grad der Homogenisierung und ideologischen Uniformität gekennzeichnet.

Ideologisch flankiert wird all dies durch die Ideologie einer ‚alternativlosen‘ Phantom-Mitte, die jeden fundamentalen Dissens zu ihren ideologischen Prämissen in zunehmend rabiater Weise zu delegitimieren sucht und die Grenzen eines ‚vernünftigen‘ und ‚zulässigen‘ Diskurses immer enger zieht.

Dabei folgen die journalistischen Mittel der Ächtung von Dissens nicht lediglich den repressionsstaatlichen Mitteln, sondern bereiten diese geradezu vor und eilen ihnen voraus. Es ist wenig überraschend, dass in Mainstream-Medien — die schon durch ihre ökonomischen Interessen oligarchischen, also antidemokratischen Zielen verpflichtet sind — elementare journalistische Standards längst auf der Strecke geblieben sind und höchsten noch als Verkaufsrhetorik dienen.

Überraschend ist jedoch – zumindest für diejenigen, die nicht einem durchgehenden politischen Zynismus verfallen sind — die massiv gewachsene Bereitschaft der Leit- und Massenmedien, sich zur Diskreditierung und Delegitimierung einer jeden Form eines grundlegenden emanzipatorischen Dissens auch widerwärtigster Techniken und krudester Diffamierungen zu bedienen.

Sie scheuen sich nicht, ihr Hetz- und Verleumdungsvokabular auch aus dem propagandistischen Arsenal der Geheimdienste zu beziehen. Besonders wirksame und somit besonders beliebte Diffamierungsbegriffe sind ‚Verschwörungstheorie‘ und ‚Querfront‘. Im medialen Gleichschritt betriebene Diffamierungen unliebsamer Kritiker ersetzen zunehmend den Austausch über politische Argumente und führen zu einer medialen Verrohung des öffentlichen Diskussionsraumes.
 

    Durch ihren der Ideologie der ‚Alternativlosigkeit‘ verpflichteten Kampagnenjournalismus zerstören die Mainstream-Medien systematisch alle noch verbliebenen mageren Standards einer Debatten- und Argumentationskultur – und damit die entscheidende Grundlage einer Demokratie.


Zur Überwindung dieser neoliberalen Ideologie der Alternativlosigkeit bedarf es eines breiten, vitalen kritischen Spektrums alternativer Medien. Doch damit ist es nicht getan, denn es geht um sehr viel mehr, es geht um die Ermöglichung von Demokratie selbst. Es geht — in den Worten des großen liberalen Philosophen John Dewey aus dem Jahr 1935 — um die Frage, „wie weit echte geistige Freiheit und soziale Verantwortung in irgendeinem größerem Umfang unter den Bedingungen der bestehenden Wirtschaftsordnung überhaupt möglich sind."

Die Schaffung alternativer Medien kann also kein Selbstzweck sein. Es wäre ein Missverständnis, die Aufgabe alternativer Medien lediglich darin zu sehen, die Mainstream-Medien durch ein alternatives Angebot zu ergänzen und so gleichsam ein Heilpflaster gegen deren gröbste Verzerrungen und schlimmste Exzesse zu sein. Unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen würden durch die gewaltige Asymmetrie der Machtverhältnisse auch beliebig viele ‚alternative‘ Wahlmöglichkeiten zu den Mainstream-Medien das eigentliche Problem nicht beheben können.


 

    „Solange es Medien gibt, die durch die ökonomisch-politische Macht, in die sie eingebunden sind, den öffentlichen Diskussionsraum dominieren, kann es keine Demokratie geben. Es geht also nicht darum, derartige Medien lediglich durch sogenannte alternative Medien zu ergänzen. Es geht darum, alle Medien mit den Anforderungen einer Demokratie verträglich zu machen und Bedingungen zu schaffen, unter denen freie und plurale Medien einen für alle gleichberechtigt zugänglichen öffentlichen Diskussionsraum schaffen.“

(Rainer Mausfeld)



 

Erst wenn in diesem Sinne alle Medien ‚alternative Medien‘, also freie Medien, geworden sind, kann Demokratie mehr bedeuten als lediglich eine Wahloligarchie ökonomischer und politischer Machteliten.

Die alternativen Medien sind zweifellos ein wesentliches Mittel, um ein für das weitere Schicksal unserer Zivilisation vermutlich entscheidendes Ziel zu erreichen: nämlich die Grundlagen für eine wirkliche Demokratie zu schaffen. Erst wenn wir einen freien und für alle gleichberechtigt zugänglichen öffentlichen Diskussionsraum bereitstellen können und über hinreichend wirksame Schutzmechanismen verfügen, die verhindern, dass kleine oligarchische Interessengruppen den öffentlichen Diskussionsraum dominieren, können wir den Weg einer wirklichen Demokratisierung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche beschreiten.
 

    Der öffentliche Diskussionsraum ist das Herzstück der Demokratie. Wer ihn systematisch zu behindern, einzuschränken und zu zerstören sucht, ist ein Feind und Totengräber der Demokratie. Er begräbt damit einen zivilisatorischen Traum, der angesichts historischer Erfahrungen zu den bedeutendsten Errungenschaften unserer Zivilisationsentwicklung gehört.


 


Screenshot | Quelle: Rubikon

 


Screenshot
Quelle: rubikon.news(
  Rainer Mausfeld,
Jahrgang 1949, studierte Psychologie, Mathematik und Philosophie in Bonn. Er ist Professor für Allgemeine Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und arbeitet im Bereich der Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung.
 

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Creative Commons Lizenzvertrag

Link zum Originaltext bei ' rubikon.news '  ..hier
 


Passend zum Thema:

04.11.2017 03:00
Wie sich die „verwirrte Herde“ auf Kurs halten lässt
Rainer Mausfelds Vortrag zu den Pleisweiler Gesprächen als Video - Der Vortrag ist mit gut zwei Stunden recht lang geraten. Aber er war spannend und Rainer Mausfeld präsentierte viel Material, viele Anregungen, viele Daten, viele Zitate, viele Hinweise auf Literatur – der Vortrag enthält ein Bündel von nützlichen Informationen. Sie können dann, wenn Sie sich für eine der vielen benutzten Abbildungen und Folien besonders interessieren das Video anhalten, nachlesen und notieren. [Quelle: nds.de / Albrecht Müller] JWD  ..weiterlesen


03.08.2017 01:00
Fassadendemokratie und Tiefer Staat
Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter. - Ein neues Buch aus dem Rubikon-Umfeld geht der Frage nach, welche Mechanismen es sind, die bewirken, dass von Demokratie im Lande lange schon keine Rede mehr sein kann. Zum ersten Mal im deutschen Sprachraum bündelt es - mit Beiträgen von Jörg Becker, Daniele Ganser, Bernd Hamm, Hansgeorg Hermann, Hannes Hofbauer, Jochen Krautz, Mike Lofgren, Rainer Mausfeld, Hermann Ploppa, Jürgen Rose, Werner Rügemer, Rainer Rupp, Andreas Wehr, Wolf Wetzel, Ullrich Mies und Ernst Wolff - Analysen zum Tiefen Staat. [Quelle: rubikon.news] JWD  ..weiterlesen


29.08.2015 22:15
„Rechte Hand von Ex-Außenminister der USA: Das Land wird von 400 Oligarchen regiert“
Die Politik der USA wird von ca. 400 Personen bestimmt, deren gemeinsames Vermögen in Billionen Dollar berechnet wird, wie Lawrence Wilkerson, Stabschef des früheren US-Außenministers Colin Powell, dem Radiosender Baltcom sagte. [Quelle: Sputniknews] JWD  ..weiterlesen


29.04.2015 00:00
Princeton-Studie: USA sind keine Demokratie mehr
Eine kürzlich veröffentlichte, gemeinsame Studie der renommierten US-Universitäten Princeton und Northwestern bestätigt jetzt wissenschaftlich fundiert, was für kritische Politikbeobachter seit einiger Zeit offensichtlich geworden ist. Die Untersuchung kommt zu dem unverblümten, eindeutigen Ergebnis, dass die USA keine Demokratie mehr sind, weil politische Entscheidungen nicht mehr den Wünschen der Bürger, sondern den Interessen einer kleinen Wirtschafts-Elite dienen. JWD  ..weiterlesen


27.01.2015 10:50
Der Staat, der tiefe Staat und die Wall Street-Oberwelt
Der 1929 in Montreal geborene ehemalige kanadische Diplomat, Politologe, Anglist, Sachbuchautor, Dichter und Anglistik-Professor an der University of California in Berkeley, Prof. Peter Dale Scott, hat in einem ausführlichen Essay niedergeschrieben, was die westliche Welt im Kern zusammen hält.  JWD  ..weiterlesen
 

<< zurück | Home | Tags: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Meinungsvielfalt, Demokratie, Medien, Manipulation, öffentlicher Diskurs