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05.08.2018 19:00 | Teilen
Der Wahnsinn der Normalität
Wir leben in einer Demokratieillusion, die durch propagandistische Lügen am
Leben gehalten wird. - Die Machteliten treiben uns scheinbar unaufhaltsam in
die Katastrophe - durch Ökozid, Freiheits-Abbau und eine profitgetriebene,
unverantwortliche Kriegspolitik. Es hat keinen Sinn, die Augen davor zu
verschließen, wie weit wir schon auf der abschüssigen Bahn in Richtung Abgrund
vorangekommen sind... [Quelle:
rubikon.news] JWD
...Dennoch ist das schlimmste anzunehmende Szenario nicht unausweichlich, wenn
wir alle dem Wahnsinn die Kooperation verweigern. Rubikon-Herausgeber Jens
Wernicke interviewte den Politikwissenschaftler und Mitherausgeber von
„Fassadendemokratie und Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“
Ullrich Mies.
Foto: frankie's/Shutterstock.com | Quelle: Rubikon
(verlinkt) von Jens Wernicke
Herr Mies, Sie publizieren viel zu Krieg und dem
sogenannten Tiefen Staat. Wie würden Sie die aktuelle Weltlage skizzieren und
warum ist Aufklärung über den Tiefen Staat Ihrer Ansicht nach notwendig?
Zunächst will ich mich ganz kurz auf die aktuelle Weltlage beziehen. Da sehe ich
Chaos auf der ganzen Linie, Herr Wernicke. Chaos als die letzte Vorstufe zur
Dystopie! Es geht realiter um das Endspiel des Planeten, bevor er sich der
Spezies Mensch entledigt.
Dieses Chaos ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Menschen gemachtes Resultat
der ökonomischen, politischen und technologischen Prozesse, die Jahrhunderte
zurückliegen und aufeinander aufbauen (1).
Die Spitze dieser Prozesse währt nunmehr knapp 30 Jahre. Ich meine damit konkret
den Kollaps der UdSSR und den Aufstieg des US-amerikanischen und
EU-Brutalkapitalismus als Formation, die ich als „neoliberalen Faschismus in
Lauerstellung“ (2) bezeichne.
Die „Demokratie, wie wir sie kannten“, also die parteienbasierte
parlamentarische Demokratie unter den Bedingungen des Marktradikalismus und der
Herrschaft der Finanzindustrie, halte ich für ein völliges Fehlkonstrukt zur
Lösung unserer Probleme. Wir leben in Scheindemokratien, die aus puren
Klasseninteressen propagandistisch am Leben gehalten werden.
Das alles hört sich nicht besonders ermutigend an und reizt auch nicht zum
Widerstand, wenn man sagt: Die Dystopie ist unausweichlich.
Nein, das ist sicher nicht ermutigend, aber das ist die Wirklichkeit und die
Augen zu verschließen, hilft zum einen nicht weiter, zum anderen ist eine solche
Haltung für denkende Menschen unwürdig. Die Dystopie ist aber nicht zwingend
unabwendbar.
Sie tritt jedoch zwingend ein, wenn die Menschheit so weiter macht wie bisher.
Sie tritt auch nur dann ein, wenn „die Lämmer weiter schweigen“, um den Begriff
Rainer Mausfelds zu verwenden. Aktuell sieht es aber nicht danach aus, dass „die
Lämmer“ sich gegen die Wölfe erheben werden. Vielleicht werden „die Lämmer“ ja
durch bislang unvorhergesehene Ereignisse aus dem Schlaf gerissen, um in der
Begrifflichkeit zu bleiben.
Die andere und sehr viel entscheidendere Frage ist aus meiner Sicht, ob man für
fundamentale Umorientierungen in einer Gesellschaft die „schlafenden Schafe“
überhaupt aufwecken muss, oder ob nicht vielmehr eine intelligente Minderheit —
„die kritische Masse“, das sind ja unter anderem auch die Leser, an die sich
RUBIKON wendet — ausreicht, um das pseudo-demokratische Schmierentheater zum
Einsturz zu bringen, zum Beispiel diese unsägliche große Ignoranten-Koalition in
Deutschland. Denn zu keiner der überlebenswichtigen Fragen liefern die führenden
Politchargen und deren Medienkomparsen irgendwelche Lösungen.
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Wir erleben seit gut 30 Jahren schleichende
Verschlechterungen, Verschlimmbesserungen, dümmliches Reformgelaber
in Endlosschleife, Pseudo-Reparaturen des selbst verursachten Chaos’
und vor allem den Privilegien- und Machterhalt, besser gesagt, die
Macht- und Reichtumserweiterung zu Gunsten einer verschwindend
kleinen Oligarchie. |
Lassen Sie vor Ihrem inneren Auge einmal die letzten 30 Jahre Revue
passieren! Dann wissen Sie, was ich meine. Vor allem ist ja hochinteressant,
dass genau die Führungschargen, die nach der „Friedensdividende“ 1990 alles vor
die Wand gefahren haben, dieselben sind, die meinen, uns noch irgendwelche
„Lösungen“ anbieten zu können. Schauen Sie sich zum Beispiel das kollabierende
Herrschaftsprojekt EU an, ein einziger gigantischer, selbst angerichteter
Scherbenhaufen. Tatsächlich sind die Führungschargen Insolvenzverschlepper.
Als neuen Ausweg aus der selbstverschuldeten Misere bieten sie uns nun die
Konflikteskalation gegen Russland und China mit der Gefahr des ganz großen
Krieges an. Dieser große Krieg kann sich zudem an den vielen aktuellen
Krisenherden rund um Russland, dem Iran, im chinesischem Meer und so weiter
entzünden. Es ist kein Zufall, dass das Bulletin of the Atomic Scientists die
Doomsday Uhr auf 2 Minuten vor 12 gestellt hat (3).
Wir leben in Zeiten, die sind mindestens so brisant wie die Zeit der Kuba-Krise.
Welche Faktoren sind für die drohende Dystopie bestimmend?
Die Dystopie ist ein Prozess und kein ad hoc Ereignis. Die ist nicht morgen da.
Auch spuckt der Planet den homo sapiens voraussichtlich nicht innerhalb der
kommenden 100 Jahre aus.
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Aber wenn die „Krone der Schöpfung“ so
weitermacht wie bisher, dann betreibt sie ein gigantisches
Biozidprogramm, mit dem sie selbst untergehen wird. Alle Kriege, die
unsere Schein-Eliten anzetteln, beschleunigen lediglich diesen
Vorgang. Und was sind 100 oder 200 Jahre im Verlauf der Erdzeit? Ein
Nichts! |
Ein kurzer Blick auf einige zentrale Problemfelder, die für die bevorstehende
Dystopie kennzeichnend sind, reicht aus, um die ganze Dimension des Scheiterns
der westlichen US-, EU- und Berliner-Politparallelwelten zu skizzieren, die
permanent von den westlichen Werten faseln. Zum Umweltdesaster mit dem
gigantischen Biodiversitätsverlust nur so viel: Die Daten des Living Planet
Index 2016, den der WWF alle 2 Jahre erstellt, sind niederschmetternd.
So hat die Menschheit die untersuchten Wirbeltierpopulationen – Sa¨ugetiere,
Vo¨gel, Fische, Amphibien und Reptilien – innerhalb von nur 40 Jahren halbiert
und es ist mit einem jährlichen Rückgang um 2 Prozent zu rechnen. Die
untersuchten Süßwasserarten sind zwischen 1970 und 2012 um über 80 Prozent
zurückgegangen, um nur wenige Beispiele zu nennen. 2012 verbrauchte die
Menschheit Ressourcen, die 1,6 Erden entsprachen. Das alles sind dramatische
Entwicklungen. Das in Kombination mit dem Klimawandel (4).
Zur Jahrtausendwende wurden umfangreiche Millenniumsziele formuliert. So wurde
auch eine gigantische Analyse zum Zustand der Umwelt (5) auf UN-Ebene in Auftrag
gegeben, an der über 1900 Wissenschaftler aus der ganzen Welt mitwirkten. Die Milleniumsziele waren Handlungsanweisungen für die Regierungen, zu denen sie
sich selbst verpflichteten. Einen Dreck haben sie sich darum geschert.
Als weiteres Beispiel für dystopische Entwicklungen möchte ich die NATO- und
EU-Osterweiterung (6) nennen, 9/11 mit dem „war on terror“ und niemals endenden
Kriegen, die Militarisierung der Staaten mit massiver gesellschaftlicher und
ökonomischer Fehlsteuerung sowie die gezielte Feindpropaganda. Ferner die
Möglichkeit eines „begrenzten“ Atomkriegs als scheinbar „rationale“
Strategieoption im Rahmen der Kriegsführung, der dann mit Sicherheit zur
Totalkatastrophe ausartet.
Zudem sind die Migrationsströme Teil dieser Dystopie. Als Folge der
Freihandelsstrategie der westlichen Staaten und ihrer zerstörerischen Kriege
haben die Menschen in ihren Heimatländern jede ökonomische Basis verloren. Darum
werden sie zu Migranten. Europa gerät durch Desintegration zunehmend unter
Druck. Es ist das Ziel der politischen Hasardeure, dass die Menschen aufeinander
losgehen sollen, um so Widerstandspotentiale zu kanalisieren. Darüber hinaus
zähle ich die gigantische Reichtumsumverteilung von unten nach oben,
Privatisierungen und den Wettbewerbsterror hinzu, der maßgeblich zur
Brutalisierung der Sozialbeziehungen geführt hat.
Wer sind denn nun die Verantwortlichen für den ganzen Wahnsinn?
Das ist das Werk der herrschenden „Eliten“, denen der Kalte Krieg abhanden kam
und die den neuen Kalten Krieg 2.0 entfachten, um nur bloß nicht in die
Verlegenheit zu gelangen, die „Friedensdividende“ einlösen zu müssen.
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Der Frieden ist für den staatsterroristischen
MIlitärkomplex ein Anti-Geschäftsmodell. |
Darum musste die Friedensdividende zerstört und die NATO-Ost-Erweiterung, die
ich als NATO-Ost-Eroberung bezeichne, realisiert werden. Diese Ost-Eroberung
wurde in den USA ausgeheckt, die politischen Eliten in den abhängigen
europäischen Vasallen-Staaten wurden nicht gefragt, sondern eingebunden.
Die Saat der neoliberalen Globalisierer ist bis dato in ihrem Sinne weitgehend
aufgegangen. Die Merkel-Regierung, besser das Regime, ist ein klassisch
marktradikal-neokonservatives Regime, reaktionär bis ins Mark, das die
dystopischen Triebkräfte massiv befördert hat.
Statt zur Vernunft zu gelangen, treiben unsere Entscheidungseliten alles auf den
Höhepunkt: den Ressourcenverbrauch, die Konflikteskalation durch Sanktionen,
Aufrüstung an allen Fronten, neue Kriege und als deren Folge Flüchtingsströme.
Aber auch die sogenannte Zivilgesellschaft ist an den dystopischen Entwicklungen
massiv beteiligt: Monsterevents, Massentourismus, exzessiver Freizeitverkehr,
Naturvernutzung, Fleischkonsum aus Massentierhaltung, Komasaufen und so weiter.
Das sind Zeichen kollektiver Verblödung großer Gesellschaftssegmente.
Welcher Politiker denkt schon 100 Jahre voraus? Viele sind froh, wenn sie im
Parlament eine Legislaturperiode überleben. Das ganze politische und ökonomische
System, in dem wir leben, wird den dringenden Erfordernissen unserer Zeit in
keiner Weise gerecht.
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Zum eigenen Machterhalt wollen „unsere"
Polittölpel jetzt noch mehr Ressourcen für die Kriegsapparate
verschwenden und Menschen ins Militär kanalisieren, um zum Beispiel
ihren kranken Putinhass und ihre Eroberungsfantasien auszuleben. |
Die Bundeswehr wirbt in Schulen, um die Unbedarften einzufangen. Was mich
immer mehr erschüttert, ist diese interessengeleitete Ignoranz und Niedertracht
der Eliten in Finanz- und Großindustrie, in Politik und Medien, die die Treiber
der dystopischen Entwicklungen sind. Wie sehr zum Beispiel der BDI neben der
Spur läuft, zeigt sich an seinen Forderungen. Ich zitiere aus german-foreign
policy:
„Führende deutsche Wirtschaftsvertreter fordern die Schaffung gesetzlicher
Grundlagen für die Ausbeutung des Weltraums durch deutsche Privatunternehmen.
Die Bundesregierung müsse umgehend ein "Weltraumgesetz" verabschieden und darin
auch den Abbau von Rohstoffen im All regeln, heißt es in einem aktuellen
Positionspapier des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)“ (4).
Das heißt, die Erd-Ressourcen sind endlich und darum müssen wir das hirnrissige
Eroberungs-Regime des Kapitalismus nun ins All ausdehnen? Das ist doch einfach
nur noch krank. Eigentlich zeigen sie, dass sie mit ihrem nekrophilen
Kapitalismus am Ende der Fahnenstange angekommen sind und nicht mehr weiter
wissen.
Sie haben vor ein paar Tagen über den neoliberalen Faschismus in
Lauerstellung geschrieben. Wann könnte die derzeitige Postdemokratie dahin
umschlagen?
Nun, ich bin ja kein Hellseher, aber es ist bestimmt nicht ausgeschlossen, dass
die Dystopie schon in 5 oder 10 Jahren eintritt, vielleicht sogar noch früher:
dann, wenn die Politik in ein brutales Gewaltregime umgeschlagen ist und der
„neoliberale Faschismus“ seine Lauerstellung verlassen hat, die
Verteilungskämpfe um die Restressourcen des Planeten weiter eskalieren und die
innergesellschaftlichen Konflikte bürgerkriegsähnliche Zustände angenommen
haben.
Die ersten Vorboten dieser Entwicklung können Sie eindrucksvoll in Frankreich
beobachten. Damit die meisten nicht merken, wohin die Reise geht, dafür haben
wir Systemmedien und Regierungssprecher. Aber deren Glaubwürdigkeit sinkt
bekanntlich auf der nach unten offenen Vertrauensskala immer tiefer. Das lässt
hoffen.
Die Dystopie droht dann, wenn wir es nicht schaffen, „die kritische Masse“ zu
bilden – im doppelten Wortsinn –, die nach dem unausweichlichen Finanz- und
Systemcrash das Steuer herumreißt, um die Akteure des Kapitalismus inklusive der
politischen Hasardeure zu entmachten.
Das hört sich ziemlich abstrakt an, wen meinen Sie konkret?
Was ist daran abstrakt? Wir als Bürger können uns in dem politischen System, in
dem wir leben und das vorgibt, eine Demokratie zu sein, doch nur an die
sogenannten gewählten Vertreter halten. Was aber, wenn diese ihren
Vertretungsauftrag missbrauchen? Stattdessen den Kapital- und Lobbyinteressen in
der marktradikal transformierten Scheindemokratie verpflichtet sind, die Merkel
selbst einmal als „marktkonforme Demokratie“ bezeichnet hat. Dabei hat sie
ungewollt die Sau herausgelassen, denn eine marktradikale Demokratie ist nunmal
keine. Damit hat sich der gesamte Herrschafts-Apparat letztlich als Putschist
gegen die verfassungsmäßige Ordnung geoutet.
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Die Täternetzwerke, die für diesen
schleichenden Putsch verantwortlich sind, sitzen unter anderem in
den politischen Herrschaftsspitzen. Sie vertreten wie gesagt nicht
die Interessen der meisten Bürger oder der Mitwelt. Sie sind für die
gigantischen Fehlsteuerungen verantwortlich. |
Vieles geschieht jedoch in abgeschotteten Parallelwelten des Tiefen Staates,
auf Geheimtreffen, „Eliten“-Treffen wie in Davos oder der Münchener
Sicherheitskonferenz, in Hinterzimmern, an Runden Tischen, in EU-Direktoraten
und -Senaten, Finanzinstitutionen, um nur ein paar zu nennen. Dort agieren
Mächtige, die niemand kennt oder nur wenige kennen und die schon gar nicht
demokratisch legitimiert sind. Es geht also um Netzwerke der Macht.
Eine Verschwörung also?
Zunächst: Wer nach Verschwörern oder Verschwörungen sucht, wird in den
Herrschaftsnetzwerken und Tiefenstaatsstrukturen in der Regel fündig. So ist die
ganze Geschichte der CIA und der Geheimdienste eine einzige Verschwörung gegen
den Frieden und das friedliche Zusammenleben der Völker. Auch kann man die
gesamte NATO-Osterweiterung unter diesem Gesichtspunkt sehen: Es handelt sich um
ein nachweisbares Komplott der westlichen Politik-Eliten unter Führung der USA
nach 1990, um die NATO nicht auflösen zu müssen. Genau das Programm läuft: War
on terror und die beiden Bösewichte Russland und China, die die „westliche
Wertegemeinschaft bedrohen. So ein Schwachsinn!
Die meisten derjenigen, die so vehement von Verschwörungstheorien oder
Verschwörungstheoretikern schwadronieren, plappern schlicht das nach, was ihnen
Pseudoautoritäten vorgeben. Aber auch Wissenschaftler, vor allem aus der Psycho-
oder Geisteswissenschaftsbranche, reden bisweilen von Verschwörungstheoretikern,
die sie überall da vermuten, wo es um Herrschaftskritik geht. Diese sind Teil
des Herrschaftskomplexes und mit Machtstrukturen oder den Elitenmachenschaften
in Geheimdiensten und Militär eng verbunden. Argument-freie Denunziation als
perfide Technik der Macht (8).
Edward Snowden, Julian Assange, Bradley Manning, sind das Verschwörer, die
Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt haben? Oder haben sie nicht vielmehr
das ganze Ausmaß an organisiertem Staatsterrorismus freigelegt von der
Total-Überwachung bis zu Kriegsvorbereitungen und Kriegsverbrechen? Sie wurden
genau darum zu Staatsfeinden des Tiefen Staates (9) oder des Secret Team (10).
Welchen analytischen Ansatz vertreten Sie?
Für mich stehen die handelnden Menschen im Mittelpunkt des Interesses und ich
vertrete exakt den polit-ökonomischen Ansatz des power-structure-research, wie
ihn in Deutschland die leider verstorbenen Hans-Jürgen Krysmanski (11) und Bernd
Hamm (12) formuliert haben. Power-structure-research ist Machtstrukturanalyse.
Darum geht es aus meiner Sicht. Es geht um Machtstrukturen, die das Werk
konkreter Menschen sind. Diese justieren den Kapitalismus täglich neu, plündern
Länder, privatisieren, was ihnen nicht gehört, und organisieren die
Reichtumsübertragung aus der Fläche in das Segment der 0,01 Prozent.
Die herrschenden ökonomischen Klassen und deren Politikkasten und
Medienkomparsen sind Täter in Verantwortungsfunktion, denen zunehmend die
Legitimation abhanden kommt. Bevor zumindest „die kritische Masse“ nicht
verstanden hat, wer die konkreten Treiber der herrschenden Zustände sind, kommen
wir nicht weiter.
Wie würden Sie denn die „kritische Masse“ definieren?
Die „kritische Masse“ wäre die, die zum Sturz der herrschenden
marktradikalen-neokonservativen Kriegs- und Eroberungs-Hasardeure führt und in
Deutschland, zum Beispiel das Grundgesetz und das Völkerrecht wieder in Funktion
setzt und zum Friedensgebot zurückfindet.
Wie viele Menschen brauchen Sie dazu? 4 Prozent, 5 Prozent?
Ich denke, ein relativ kleiner Prozentsatz würde genügen. Wir brauchen
intelligente, aufgeschlossene, entschlossene und zähe Menschen. Menschen, die
über Organisationsfähigkeiten verfügen und Strukturen aufbauen können und auch
klandestin zu arbeiten in der Lage sind. Denn eines ist klar:
„Die ausbeuterischen Oligarchen einigen sich immer!“ (13).
Wir müssen also völlig neue Wege beschreiten, deren Pfade noch nicht einmal
angelegt sind, weil die herrschenden Cliquen in Einigkeit verbunden und die
widerstreitenden Kräfte in Uneinigkeit zersplittert sind.
Wie könnten die aussehen, diese „neuen Wege“? Neoliberal-links,
links-rechts-autoritär oder marxistisch-orthodox, was noch nie funktionierte?
Wenn ich links bin, kann ich nicht neoliberal sein und umgekehrt. Sie meinen mit
neoliberal-links wahrscheinlich die Restbestände jener intellektuell,
ethisch-moralisch komplett auf den Hund gekommenen SPD und die moderne
Kriegstreiberpartei, die Grünen. Was ist an den beiden links? Nichts, weil beide
neoliberal, besser marktradikal sind. Diese beiden Parteien sind gewollt oder
ungewollt eine Unterorganisation der NeoCons. Zu links-rechts-autoritär:
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Ich bin Befürworter eines Staates, der die
dringende Notwendigkeit des Naturerhalts zur absoluten Priorität
erhebt, der sich alles andere unterzuordnen hat. Ende mit
„marktkonformer Demokratie“ und „Ende des Kapitalismus, wie wir ihn
kannten“. |
Eine fundamentale Änderung geht mit dieser korrupten Lobby-basierten
Parteien-Scheindemokratie nicht. Links an dieser Staatskonzeption wäre der
totale Umsturz der aktuellen Verhältnisse: Die Rückholung der Staatsfunktion zum
Wohle der Menschen und der Natur impliziert die Zerschlagung der Monopole, die
massive Besteuerung des Reichtums, die totale Neuordnung der Medienlandschaft,
die Abschaffung des Spekulationsunwesens, die Reduktion des Bankenwesens auf
seine Kreditfunktion, die Ent-Neoliberalisierung auf allen Ebenen, die
Re-Sozialisierung der Menschen über Bildung, die den Namen verdient, den
sofortigen Austritt aus dem NATO-Kriegspakt, die totale Rekonzeptionalisierung
der EU, den Rückbau der Bundeswehr auf die Landesverteidigung und
Katastrophenabwehr, um nur einige Punkte zu nennen.
„Rechts“ im Sinne von autoritär an diesem Staat wäre seine ethisch-moralische
Fundierung und Verfassungstreue, die sich an den Grundprinzipien Naturerhalt,
Friedensgebot und Gerechtigkeitsgrundsatz orientiert.
In diesem Staat hätten Persönlichkeiten von Format das Sagen, die sich durch
besondere fachliche und charakterliche Eigenschaften auszeichnen. Der Klein- und
Mittelstand könnte sich innerhalb eines staatlich definierten Rahmens entfalten.
Autoritär an diesem Staate wäre die Durchsetzung seiner Grundprinzipien.
Marxistisch-orthodox ist doch wohl kaum eine tragfähige Variante. Den
Kasernenhof-Sozialismus, so der Marxist Robert Kurz (14), hatten wir schon und
die Diktatur des Proletariats stellvertretend durch eine Einheitspartei und die
totale ökonomische Planung wird in einem neuen Fiasko enden, weil sie das
Sammelbecken und die Karriereschmiede neuer Polit- und Apparatschiks wäre. Aus
meiner Sicht ist das orthodoxe Modell historisch abgefrühstückt.
Wie könnte denn ein Staat, der den Menschen und der Natur dient, Wirklichkeit
werden?
In diesem Parteiensystem sicher nicht, Herr Wernicke, das ist völlig
aussichtslos. Die Akteure dieses nekrophilen Kapitalismus haben uns in die
Miseren hinein manövriert, von denen ich vorhin einige kurz skizziert habe. Wir
haben aus meiner Sicht nur eine Chance nach dem Platzen der Spekulations- und
Schuldenblase. Diesen Kollaps sehen einige Fachleute (15) in gar nicht mehr so
weiter Ferne, dann werden die Karten neu gemischt. Das, was diese Fachleute
voraussagen, ist aber eine schlimmere ökonomische und soziale Katastrophe als
1929. Dann ist das Scheitern dieses System und seiner Systemchargen komplett.
Wie es dann weiter geht, weiß niemand. Bis es so weit ist, bleibt die
Kriegsgefahr.
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Einem alternativen Wirtschafts- und
Gesellschaftssystem fehlt das erforderliche qualifizierte
„Personal“. Wo ist der „Pool an Menschen“, der nach einem Kollaps
ein neues ökonomisch und politisch tragfähiges System aufbauen
könnte? |
Herr Wernicke, da herrscht aus meiner Sicht allgemein große Ratlosigkeit. Wir
erleben einen brutalen Klassenkampf, der „von oben“ mit allen Mitteln —
full-spectrum-dominance — geführt wird und es geht um die Sicherung der
Vorherrschaft des taumelnden Welt-Hegemon USA. Wir leben an einer
weltgeschichtlichen Epochenwende was die Überlebensfähigkeit der Spezies Mensch
generell und was die Neuformation einer unipolaren hin zur multipolaren Welt
anbelangt.
Was kann jeder Einzelne von uns tun, um die Welt zum Besseren zu gestalten?
Jeder kann aus dem System zumindest teilweise aussteigen und sich dem ganzen
Irrsinn individuell entziehen. Dazu zählt, den Herrschaftscliquen die
Gefolgschaft zu verweigern, Wahlen fernbleiben oder Anti-Systemparteien wählen,
das Konsumverhalten komplett ändern, Details erspare ich mir, sich dem
Massentourismus verweigern, sich bilden und intelligent vernetzen,
Mainstreammedien meiden beziehungsweise untersuchen, was sie alles weglassen und
wie sie manipulieren, auf den eigenen Körper und die Psychohygiene achten, zum
Beispiel bei der Frage, mit wem ich Kontakt pflege.
Soweit es die ökonomische Lage zulässt, dem Billig-Dreck entsagen: Billig ist
immer teuer für irgend jemanden. Dummschwätzern nicht auf den Leim gehen, immer
alle ihre Aussagen und Behauptungen überprüfen, soweit möglich. Sich politisch
vernetzen und den Widerstand organisieren.
Das sind ja nur einige, aber wichtige Schritte, die der Einzelne unternehmen
kann, um in diesem Wahnsinns-System einigermaßen unbeschadet zu überleben, was
sehr, sehr wichtig ist.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Quelle: Walter Lippmann via
Odysee |
veröffentlicht 23.12.2022 | Link aktualisiert 09.01.2023
KenFM im Gespräch mit: Ullrich Mies
("Fassaden-Demokratie und Tiefer Staat")
YT-Video gelöscht | Quelle: KenFM via Youtube |
veröffentlicht 09.12.2017
Ullrich Mies ist Sozial- und
Politikwissenschaftler. Er studierte in Duisburg und Kingston/Jamaica. Seine
Interessenschwerpunkte sind internationale politische Konflikte, organisierte
Friedlosigkeit, Staatsterrorismus, Neoliberalismus, Demokratieerosion,
Kapitalismus- und Militarismuskritik sowie die Erhaltung der Biodiversität. Er
ist seit 1994 selbständig und lebt seit 30 Jahren in den Niederlanden. 2017
erschien von ihm und Jens Wernicke als Herausgeber „Fassadendemokratie und
Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“.
Quellen und Anmerkungen: (1) Siehe hierzu die Schriften von Fernand Braudel, Giovanni Arrighi und
Immanuel Wallerstein.
(2) https://www.rubikon.news/artikel/neoliberaler-faschismus
(3) https://thebulletin.org/doomsday-clock/
(4) https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-LivingPlanetReport-2016-Kurzfassung.pdf;
Gegen die Wand: Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber über das Irrsinnstempo,
mit dem die Menschheit gerade auf die Katastrophe zusteuert, Süddeutsche Zeitung
- Nr. 110 - Dienstag, 15. Mai 2018
(5) https://www.millenniumassessment.org/en/index.html
(6) Jürgen Wagner, NATO-Aufmarsch gegen Russland oder wie ein neuer Kalter Krieg
entfacht wird, 2. Auflage, Berlin 2016
(7) https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7669/
(8) Eine Abrechnung mit den Denunzianten siehe: Ansgar Schneider, Stigmatisierung statt Aufklärung. Das Unwesen des Wortes „Verschwörungstheorie“
und die unerwähnte Wissenschaft des 11. Septembers als Beispiel einer
kontrafaktischen Debatte, Berlin 2018
(9) Ullrich Mies, Jens Wernicke, Fassadendemokratie und Tiefer Staat. Auf dem
Weg in ein autoritäres Zeitalter, 4. Auflage, Wien 2017
(10) L. Fletcher Prouty, The Secret Team, The CIS ans its Allies in Control of
the United States and the World, New York 2011
(11) https://kenfm.de/hans-juergen-krysmanski-classics/
(12) https://www.rubikon.news/artikel/das-ende-der-demokratie
(13) https://www.rubikon.news/artikel/was-tun-gegen-die-kriegsgefahr
(14) Robert Kurz, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a. M. 1999
(15) Max Otte: https://www.youtube.com/watch?v=JGfgmBKNRho&frags=pl%2Cwn;
Ernst Wolff: https://www.youtube.com/watch?v=pGKCx9eJ0ZQ
Quelle: rubikon.news (verlinkt) |
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Jens Wernicke
Jens Wernicke, Jahrgang 1977, Diplom-Kulturwissenschaftler (Medien), arbeitete
lange als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Politik und als
Gewerkschaftssekretär. Er verantwortete mehrere Jahre das Interviewformat der NachDenkSeiten, Deutschlands meistgelesenem politischen Blog. Heute ist er
Autor, freier Journalist und Herausgeber von „Rubikon – Magazin für die
kritische Masse“. Zuletzt erschienen von ihm als Mitherausgeber „Netzwerk der
Macht – Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh“ und
„Fassadendemokratie und Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“.
Sowie von ihm als Autor „Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der
Kampf um die öffentliche Meinung“.
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Link zum Originaltext bei ' rubikon.news ' ..hier
| als PDF
..hier
Passend zum Thema:
11.12.2017 00:00
Ullrich Mies - "Fassaden-Demokratie & Tiefer Staat"
Niemand von uns lebt in einer Demokratie. Wir glauben nur, es zu tun.
Volksvertreter sind in Wahrheit von der Elite vorgecastete Marionetten. Ihr Job
ist es, uns glauben zu lassen, wir, die Bürger, wären der Souverän. Das sind wir
nicht. An keinem Ort der Welt. Wir leben in simulierten Demokratien. Eine
Demo-Version, die sich hinter der Mogelpackung Repräsentative Demokratie
versteckt. [Quelle:
KenFM] JWD ..weiterlesen
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Tags: Propaganda,
kritische Masse, Demokratieillusion, Dystopie, Elitenherrschaft, Tiefer
Staat, Neoliberalismus, Freiheitsabbau, Ökozid, neoliberaler Faschismus,
Verschwörungstheorie, CIA ein Komplott gegen den Frieden, |
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