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09.01.2018 00:30
CSU-Geschichtsklitterung
Albrecht Müller beschäftigt sich in den Nachdenkseiten mit der Frage, ob der
CSU- Landesgruppenführerchef Alexander Dobrindt, noch recht bei
Trost ist, wenn dieser in der Springer-Welt verbreitet, die 68er hätten eine
„linke Revolution der Eliten“ bewirkt und die christlich-jüdische
Wertegemeinschaft müsse wieder mittels Revolution hergestellt werden. JWD
Screenshot | Quelle: Hello World via Youtube |
zum Video
Marietta Slomka provoziert Alexander Dobrindt
(CSU):
"Richtet sich Ihre Revolution gegen Merkel?"
08.01.2018 [Quelle: nds.de / Albrecht Müller]
Die Manipulationsstrategien hinter
CSU-Dobrindts
Klage über den Einfluss der 68er und
seiner Forderung
nach einer “konservativen Wende/Revolution“
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Quelle: nds.de (verlinkt) |
Der erste Eindruck, der CSU-Landesgruppenchef sei nicht mehr ganz bei Trost,
täuscht. Er erweckt in einem Beitrag für Springers „Welt“ den Eindruck, die 68er
hätten eine „linke Revolution der Eliten“ bewirkt, sie seien die geistige
Führungsmacht in Deutschland. Aus Dobrindts Sicht ist es jetzt Zeit für eine
bürgerlich-konservative Revolution. Er erhält für diesen Blödsinn Applaus von
Seiten der in Kloster Seeon versammelten CSU-Mandatsträger und vermutlich
Zustimmung bei AfD-Funktionären und Anhängern. Was steckt hinter diesen
Einlassungen? Meines Erachtens sind sie kühl kalkuliert.
Zunächst noch eine Anmerkung zur Reaktion in der Öffentlichkeit: Zu Ehren
einiger Medien kann man feststellen, dass auch sie die enthaltenen
Geschichtsklittereien für eine Zumutung halten. So zum Beispiel Frau Slomka vom
heute journal am 3. Januar. Sie stand offensichtlich staunend vor Dobrindts
schrägen Behauptungen und Forderungen und hielt dagegen. So auch der in den
Hinweisen von heute schon zitierte Georg Restle vom WDR. Und Robin Detje bei
Zeit Online „Deutschland
soll Bayern werden!“.
Da davon auszugehen ist, dass Dobrindts Einlassungen in manchen Kreisen
verfangen und er außerdem damit etwas bewirken will, also sich in nüchternem
Zustand geäußert hat, dazu noch einige Anmerkungen und Erklärungsversuche.
Zunächst:
Es stimmt nahezu nichts an den Einlassungen von Dobrindt
- Die 68er waren keineswegs so erfolgreich, wie Dobrindt behauptet. Sie
beherrschen weder den Zeitgeist noch haben sie die praktische Politik geprägt,
als mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer Menschen, die man den 68ern (zu
Unrecht) zurechnet, das Land regiert haben.
- Sie haben die Regierungszeit des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Helmut
Schmidt zwischen 1974 und 1982 kaum geprägt.
- Und sie bestimmten keinesfalls die seit der 1982er „Wende“ zu Kohl von diesem
Bundeskanzler und seinem liberalen Kompagnon Lambsdorff betriebene Politik. Es
wurde dereguliert und privatisiert und die Position der Lohnabhängigen wurde
systematisch geschwächt, am deutlichsten dann durch die Agenda 2010 des Gerhard
Schröder und des Joschka Fischer. Seit 2005 regiert Angela Merkel auf der
gleichen Linie weiter.
- Die konservative Wende hat also längst stattgefunden. Der Neoliberalismus
herrscht überall, in Deutschland, in Frankreich, in Großbritannien schon seit
Thatcher und auch vom Labourpolitiker Tony Blair so weiterbetrieben.
- Besonders in den Medien hat die konservative Wende sichtbar stattgefunden: der
Spiegel ist kein fortschrittliches Medium mehr, auch nicht einmal die
Frankfurter Rundschau und die taz, und auch nicht andere Medien, die einmal
wenigstens in Teilen linksliberal angehaucht waren, wie z.B. der Kölner
Stadtanzeiger oder die Süddeutsche Zeitung oder Die Zeit.
- Im sogenannten privaten Rundfunk hat die Union schon ab der Wende von 1982 die
besondere Form der konservativen Revolution betrieben: 1984 haben Kohl und sein
Gehilfe Schwarz-Schilling dort die totale Kommerzialisierung eingeleitet und
möglich gemacht. Kommerzfernsehen – das ist der deutlichste und weitreichende
Ausdruck der konservativen Revolution in Deutschland!
Auch der Öffentlich-rechtliche Rundfunk ist deutlich kommerzialisiert und nach
rechts gerückt worden. Wo ist denn der Rot-Funk des WDR geblieben? Und wo der
liberale und fortschrittliche Geist des NDR und des Hessischen Rundfunks? Die
Unionsparteien haben systematisch Personalpolitik betrieben – mit der
Konsequenz, dass der Geist der 68er aus der letzten Ecke gefegt wurde.
Heute herrscht die Welt des Neoliberalismus und der Atlantiker fast überall.
Verziert von ein paar Ausnahmen, von wenigen Leuchtmarken der Aufklärung. Die
maßgeblichen und die öffentliche Meinung bestimmenden Hauptmatadore haben mit
dem Geist der 68er nichts mehr zu tun.
- In vielen anderen Institutionen, zum Beispiel in Universitäten und
Expertengremien wie dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung herrschen die Konservativen. Meine eigene
Wissenschaft, die Nationalökonomie ist weitgehend auf neoliberales Denken
gleichgeschaltet. Kohl höchstpersönlich hat bei der Humboldt-Universität in
Berlin für „Ordnung“ gesorgt. Auch in den zur Analyse politischer Ereignisse von
den Medien herangezogenen Politologen- und Historiker-Zirkeln dominieren
konservative und der FDP und der Union nahestehende Personen.
- Selbst ehedem linke Parteien wie die SPD und die Grünen sind von Konservativen
und bestenfalls Opportunisten beherrscht. Die sogenannten Realos beherrschen die
Szene bei den Grünen, die Seeheimer bestimmen die Politik der SPD.
- Selbst in der Außen- und Sicherheitspolitik gilt nicht mehr das, was die 68er
damals unterstützt haben: die Entspannungs- und Friedenspolitik, die
Verständigung mit dem Osten.
Bei so viel Ungereimtheiten und falschen Behauptungen muss man fragen, was die
Funktion der Feststellungen und Behauptungen des CSU-Landesgruppenchefs sein
könnte.
Die Funktionen seines Vorstoßes und die Strategien,
die dahinterstecken:
- Befriedigung der eigenen Anhänger und des eigenen Funktionärskörpers. Dort
glauben viele, was Dobrindt behauptet.
- Werben um die Anhänger der AfD. Dort glauben auch viele die Märchen über die
68er und ihren Einfluss.
- Vor allem aber will der CSU-Funktionär die vor fast 40 Jahren eingeleitete
konservative Wende absichern, nachdem sichtbar geworden ist, welchen Schaden die
konservative Wende angerichtet hat. Dringend notwendig wäre stattdessen eine
Rückbesinnung auf die erfolgreichen Regeln und Werte der Zeit vor der Wende von
Kohl und Lambsdorff – also die Rückbesinnung auf Sozialstaatlichkeit, auf die
soziale Sicherung vor den Risiken des Lebens, auf die öffentliche Verantwortung
für die Güter des öffentlichen Grundbedarfs, auf Gemeineigentum, und in der
Außen- und Sicherheitspolitik auf eine von Friedenswillen und
Völkerverständigung geprägte Politik.
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe will verhindern, dass unser Volk und unsere
Politiker zur Besinnung kommen, wir sollen stattdessen auf die Agenda 2010 die
Agenda 2020 folgen lassen.
- Dobrindt will damit den Sondierungsgesprächen und den anstehenden
Koalitionsverhandlungen eine Art „Kompass“ vorgeben. Dafür nimmt er in Kauf, als
nicht ganz bei Trost zu gelten. Clever. Clever gemacht.
Einen ersten Teilerfolg hat er damit schon erzielt. Der SPD-Generalsekretär
durfte gestern Abend in einer mit allen Teilnehmern der Sondierungsgespräche
abgestimmten Erklärung verkünden:
„Wir befinden uns in einer neuen Zeit. Und diese neue Zeit braucht eine neue
Politik.“
Damit hat sich Dobrindts Opfer vom vergangenen Donnerstag schon gelohnt.
Link zum Originaltext bei ' nachdenkseiten.de '
..hier
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Tags: 68er, Agenda 2010,
Deregulierung, Alexander Dobrindt, Entspannungspolitik, Joschka Fischer,
Helmut Kohl, Otto Graf Lambsdorff , Angela Merkel, Parteiströmungen,
private Medien, Georg Restle, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Marietta
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