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14.04.2017 12:30
Ein offener Brief an Europa
von Heiner Flassbeck
Liebes Europa, in diesen schweren Stunden denke ich oft an dich. Du tust
mir aufrichtig leid. Dein Zustand ist schlimm und deswegen schreibe ich dir
heute einen österlichen und hoffentlich auch tröstlichen Brief. - Ich kann leider
nicht sagen, von wem der kluge Spruch stammt, dass derjenige, der die
„richtigen“ Freunde hat, keine Feinde mehr braucht. Das aber ist es genau, woran
du so schwer leidest... [Quelle:
makroskop.eu] JWD
Von Heiner Flassbeck | Quelle:
makroskop.eu | 13. April 2017

Quelle: makroskop.eu
...Es ist nämlich gerade die Zeit der Europafreunde. Auf allen Kanälen gibt
es kein anderes Thema mehr als dich. Jede Partei sucht alle ihre Europafreunde
zusammen und sie schreiben sich die Finger wund, um zu zeigen, was für gute
Europäer sie sind. Bundespräsidenten, Kanzler und Minister werden vor allem in
Deutschland nicht müde zu betonen, wie sehr sie vom europäischen Geist beseelt
sind. Selbst im deutschen Regionalradio wird man fast täglich aufgefordert, zur
nächsten Demonstration von „Pulse of Europe“ zu gehen, lustig blaue Fähnchen zu
schwenken und laut und fröhlich die Europahymne zu singen.
Europa über alles sozusagen. Nur genau da, das weißt du besser als jeder andere,
wird es gefährlich. Nehmen wir nur Pulse of Europe. Da hat offenbar jemand viel
Geld in die Hand genommen, um den Europäern das eigenständige Denken
abzugewöhnen. Jubeln sollen die Freunde Europas, aber nicht nachdenken. Vor ein
paar Jahren noch haben Leute mit ähnlichen Motiven den Deutschen in
großformatigen Anzeigen einreden wollen, „du bist Deutschland“. Was sie wirklich
wollten, war, die Deutschen stillzustellen, ihnen eine weiße Salbe zu
verabreichen, damit sie nicht nach wirklichen Verbesserungen rufen.
Zwar wird dieser Unsinn so schnell verpuffen wie alle ähnlichen Kampagnen
vorher, aber es kommt den Leuten, die dahinter stehen, ja offenbar nur drauf an,
das kritische Denken an einem entscheidenden Zeitpunkt von so viel besoffener
Freude zu überlagern, dass keine wirklichen Verbesserungen in Gang kommen. Denn
Verbesserungen brauchen Kritik, sie brauchen ein klare Diagnose und auf keinen
Fall hohles Gerede.
Ich war gerade in Italien, wo man mit den Händen greifen kann, was dir wirklich
fehlt. Man sieht dort klarer als in den meisten Ländern, dass Menschen, die
eigentlich gerne gute Europäer sein wollen, es nicht mehr sein können. Weil sie
mit Europa heute sozialen Abstieg und Zukunftsangst verbinden statt Wohlstand
und Zuversicht. Doch dann kommt auch dort um jede Ecke ein Politiker, der
vorgibt, dein bester Freund zu sein, und er erzählt den Leuten
Friede-Freude-Eierkuchen-Geschichten, die mit ihrer Lebenswirklichkeit nicht zu
tun haben. Diese deine „besten Freunde“ frustrieren die Menschen noch viel mehr,
weil sie spüren, dass man ihnen nicht zuhören und ihre Sorgen ernst nehmen will.
Ich will dir ein konkretes Beispiel für vermeintliche Freundschaft und
vermeintliche Feindschaft geben, an dem man klar erkennt, dass diejenigen, die
sich ohne Umschweife zu den besten Freunden erklären, manchmal die größten
Feinde sind. In Le Monde und in Spiegel-Online erschien gleichzeitig ein Artikel
der französischen Ökonomin Agnès Bénassy-Quéré und des deutschen Ökonomen Marcel
Fratzscher zum Thema Europa und Europäische Währungsunion.
Agnès Bénassy-Quéré hat einen sehr klugen Artikel geschrieben (..hier),
ganz ohne Europaeuphorie, aber mit einer klaren und kritischen Diagnose der
Situation. Für sie ist der Maastricht-Vertrag gescheitert und sie fordert
Deutschland auf, seine Wirtschaftspolitik zu ändern, weil eine Politik hoher
Leistungsbilanzüberschüsse nicht mit der Währungsunion vereinbar ist. Ihr
Resümee: „Eine Strategie der niedrigen Löhne für den gesamten Euroraum stellen die
Franzosen ebenso infrage. Sie würden den Wechselkurs des Euro aufwerten, aber
keine zusätzliche Wettbewerbsfähigkeit in Europa mit sich bringen. Kurz gesagt:
Mit dem deutschen Wirtschaftsrezept lässt sich nicht gut für die Währungsunion
als Ganzes kochen.“ Ganz anders Marcel Fratzscher (..hier), der auf seinen französischen Vornamen
verweist und sich auch sonst als großer Europäer outet. Zwar findet er,
Frankreich habe eine hohe Produktivität und auch sonst Grund, hoffnungsvoll in
die Zukunft zu schauen. Das Land befinde sich aber in einer „mentalen
Depression“, die Arbeitslosigkeit sei hoch und die Einkommen gingen zurück.
Frankreich, so Fratzscher, solle sich ein Beispiel an Deutschland nehmen, das
sich Anfang der 2000er Jahre mit seiner Agenda-Politik mit Erfolg aus einer
ähnlichen mentalen Depression befreit habe.
Die Agenda 2010 ist laut Fratzscher ein „Weckruf“ gewesen für einen
Mentalitätswandel, der zu einer Kooperation der Tarifpartner und des Staates
geführt habe. Frankreich müsse jetzt nachziehen und seinen Arbeitsmarkt
flexibilisieren. Seine Schlussfolgerung:„Deutschland braucht ein Frankreich, das es mahnt, dringend notwendige Reformen
anzustoßen. Dazu gehört die Öffnung vieler Dienstleistungsbereiche, die Stärkung
privater Investitionen, mehr öffentliche Investitionen in Bildung und Innovation
und mehr Offenheit gegenüber externer Kritik. Deutschland braucht ein
Frankreich, das ihm dabei hilft, zu verstehen, dass ein hoher Handelsüberschuss
nicht ein Zeichen der Stärke, sondern vor allem ein Zeichen von Schwäche und
Ungleichgewichten ist“. Na dann, der deutsche Handelsbilanzüberschuss als Zeichen der Schwäche, die
niedrige deutsche Arbeitslosigkeit als Zeichen der Kooperation und weitere
„Reformen in Deutschland“, die sogar von Frankreich angemahnt werden dürfen. Nur
eines darf Frankreich in der Lesart von Marcel Fratzscher offensichtlich nicht:
Deutschland dafür offen kritisieren, dass es den Übergang zur Europäischen
Währungsunion ausgenutzt hat, um sich über staatlich verordnetes Lohndumping
einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, der von den Partnerländern nur über
extrem schmerzhafte Lohnsenkungen ausgeglichen werden könnte, was aber
hundertprozentig zur Machtübernahme europafeindlicher nationalistischer Kräfte
führen würde. Genau das, was seine französische Kollegin sagt, ist nicht
erwünscht.
Du siehst, mein liebes Europa, der Deutsche ist dein „großer Freund“ und macht
in deinem Sinne alles falsch, die Französin ist viel weniger freundlich und
macht doch alles richtig. Wie so oft trügt der äußere Anschein. [...]
Weiterlesen im Originaltext bei ' makroskop.eu ' ..hier
Passend zum Thema:
03.04.2017 01:30
Pulse of Europe -
Kopf in den Sand und weiter so
Seit Wochen ist eine neue NGO mit großem Eifer dabei
europaweit eine Demonstration nach der anderen zu organisieren. Alle werden von
den etablierten Medien äußerst wohlwollend begleitet und publik gemacht. Um was
es wirklich geht, ist schwer auszumachen. JWD
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Tags:
Europäische Wirtschaftunion, europafreundlich, Agenda-Politik,
Lohndumping |
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