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13.02.2017 01:00
Werner Rügemer:
Die neuen Mächtigen
Während Regierungen und Leitmedien seit der Finanzkrise das
Theater aufführen, eine umfassende Bankenkontrolle und -regulierung stünde
unmittelbar bevor, bauen die Eliten ihre Macht aus und modernisieren sie. Die
„neuen Mächtigen“ werden nicht reguliert, ihr Handeln organisiert sich über
keine Bank. Dennoch bedrohen sie Demokratie, Sozialstaat, Arbeitsverhältnisse
und Lebenssicherheit.. [Quelle: free21.org] JWD
..Doch um wen handelt es sich? Und wie steht es um den von Georg Schramm
konstatierten Krieg „Geld gegen Staaten“? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke
mit dem Autor und Publizisten Werner Rügemer, der mit seinem neuen Buch eine Art
„Geschichtsschreibung von unten“ vorgelegt hat, die die
Unterdrückungsverhältnisse hinter dem Nebel der alltäglichen Propaganda wieder
sichtbar macht.
Von
Jens Wernicke | Free21 |
09. Februar 2017

Finanzkrise (Foto by Gerd Altmann / pixabay / CC 0 / Public Domain) |
Quelle: free21
Jens Wernicke: Herr Rügemer, die Macht der global tätigen Finanzakteure
scheint beständig zu wachsen. Der Kabarettist Georg Schramm konstatierte schon
vor einiger Zeit in einem seiner bekanntesten Auftritte einen Krieg „Geld gegen
Staaten“. Von was für einem Krieg reden wir hier? Wer führt Krieg gegen wen und
was genau?
Werner Rügemer: Schramm bezog sich im Jahre 2010 auf den bekannten
Ausspruch eines der reichsten Männer der Welt, des US-amerikanischen
Firmenspekulanten Warren Buffett: „Wir, die herrschende Klasse, führen weltweit
Krieg gegen die abhängige Klasse, und wir sind endgültig dabei zu gewinnen.“
Nach der Finanzkrise hatten die bankrotten Banken die Regierungen der westlichen
Staaten erfolgreich zu teuren Rettungsmaßnahmen gezwungen. Nicht nur in
Griechenland, Irland und Zypern wurden Banken mit Steuergeld gerettet, sondern
auch in den reichsten und mächtigsten Staaten: in den USA, Deutschland,
Großbritannien und so weiter.
Schramm bilanzierte das damals drei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise mit der
hübschen Formulierung: „Jetzt hat die deutsche Bundeskanzlerin den Tagesbefehl
ausgegeben: Wir müssen das Vertrauen der Finanzmärkte wiedergewinnen!“
Jens Wernicke: Damit hat Schramm das unterwürfige Verhalten der
Bundeskanzlerin doch richtig beschrieben, oder nicht?
Werner Rügemer: Doch, er hat das Verhalten dieser mächtigsten
Duckmäuserin der westlichen Wertegemeinschaft sehr gut erfasst, auch angesichts
ihrer vorherigen Klage „Ich möchte nie mehr in die Situation kommen, mich von
den Finanzmärkten erpressen zu lassen.“
Sie ließ sich dann bekanntlich aber doch erpressen und verkündete populistisch
wie nationalistisch, es gehe allen, zumindest in Deutschland, nach wie vor gut.
Wobei wir nicht wissen, ob es sich tatsächlich um eine Erpressung handelt oder
um überzeugtes oder einfach nur getriebenes Verhalten. Oder um Demagogie und
Populismus. Wahrscheinlich eine Mischung aus allem.
Jens Wernicke: Also treffen Buffetts Bemerkung und Schramms Analyse auch
heute noch zu? Das Kapital greift – vermittelt über „die Finanzmärkte“ –
Nationalstaaten und also auch nationale Souveränität an?
Werner Rügemer: Das tut es, ja, aber Buffett meinte die ganze Breite des
Klassenkampfes. Denn nicht nur Staaten werden erpresst oder besiegt, sondern
auch schwächere Unternehmen, Beschäftigte, Arbeitslose, Rentner, Bürger.
Buffett selbst etwa ist mit seiner Holding Berkshire Hathaway dabei, weltweit in
schneller Folge spekulativ Firmen und Firmenanteile zu kaufen und zu verkaufen.
Die Aktien sollen möglichst hohe Dividenden bringen. Die sind umso höher, je
billiger und rechtloser die beschäftigten und dann auch entlassenen Mitarbeiter
sind, je mehr die jeweiligen Staaten den Unternehmen Steuervorteile und
Steuerschlupflöcher gewähren und je weniger Rücksicht auf die Umwelt genommen
wird.
Investoren wie Buffett beeinflussen das Verhalten von Bürgermeistern,
Abgeordneten und von Regierungen. Er trägt mit seinen Gewinnstrategien dazu bei,
die Gegenseite – sprich Aufsichtsbehörden und Gewerkschaften – zu schwächen und
möglichst auszuschalten. Das ist bekanntlich die Entwicklung, die von den
Politikern der sogenannten Volksparteien und all der ungewählten
Verantwortlichen immer noch beschönigend als Globalisierung bezeichnet wird.
Buffett hat damals eine einfache Tatsache ausgesprochen, die von den Populisten
und Nationalisten unterschiedlicher Couleur wie Merkel, Schäuble, Gabriel,
Juncker, Schulz, Hollande, Renzi, Rajoy oder auch Donald Trump und Hillary
Clinton zu vernebeln versucht wird: Die Finanzmächtigen bilden, auch ohne sich
untereinander genau absprechen müssen, eine gesellschaftliche Klasse, national
und international, die eine ungleich höhere Macht und Gestaltungskraft erreicht
hat als der Rest der Bevölkerungen.
Jens Wernicke: Gut, das wäre ja nichts Neues. In einem aktuellen Artikel
sprechen Sie nun aber statt von „Casino-Kapitalismus“ von „BlackRock-Kapitalismus“?
Warum dieser neue Begriff? Was meint das genau?
Werner Rügemer: Der Begriff „Casino-Kapitalismus“ war mir immer zu
harmlos. Er meint, dass die Finanzakteure mit ihren riesigen Geldbeträgen
untereinander spielen, wetten, sich dafür gegenseitig Kredite geben und dann
notfalls nach der staatlichen Rettung schreien.
Seit der Finanzkrise wird in den USA und in der EU ein politisch-mediales
Theater aufgeführt: Wie stark oder auch nicht so stark müssen die Banken neu
reguliert werden, damit es nicht wieder zu so einer Krise kommt? Wie hoch soll
das Eigenkapital sein? Das ist nicht nur deshalb reiner Theaterdonner, weil
selbst die bisher weitestgehenden Regulierungen eine zukünftige Bankenkrise
nicht verhindern würden. Vor allem wird durch diesen Popanz fast völlig
verdeckt, dass vor, mit und nach der Finanzkrise ganz andere Finanzakteure
mächtig geworden sind, also eine immense Machtverschiebung stattgefunden hat.
Die neuen Akteure gelten dabei nicht als Banken und werden auch nicht reguliert.
Das meine ich mit BlackRock-Kapitalismus.
Jens Wernicke: Also bitte, jetzt mal genauer!
Werner Rügemer: „BlackRock-Kapitalismus“ ist ein feuilletonistischer und
verkürzter, kein analytischer Begriff. Konkret kann man nach meiner Kenntnis
vier Gruppen von neuen Finanzakteuren unterscheiden: Erstens die heute größten
Kapitalorganisatoren, an deren Spitze nach dem Umfang des verwalteten Kapitals
und des wirtschaftlichen und politischen Einflusses eben der größte
Vermögensverwalter der Welt steht, BlackRock. Zweitens, sozusagen eine Etage
darunter, die Private Equity-Investoren, volkstümlich „Heuschrecken“ oder
„Geierfonds“ genannt; zu ihnen kann man auch die Hedgefonds rechnen. Drittens
die neuen Unternehmen der großen Internet-Plattformen wie Google und Facebook.
Und schließlich viertens die neuen Großkonzerne der sogenannten Share Economy –
am bekanntesten ist hier das inzwischen größte Taxiunternehmen der Welt, Uber.
Jens Wernicke: Können Sie das bitte konkreter ausführen: Inwiefern
bedrohen die Akteure Ihrer vier Gruppen aktuell gerade konkret Demokratie,
Lebensstandards und anderes? Fangen wir doch mit den „Kapitalorganisatoren“ an.
Werner Rügemer: Gut, dann gleich am Beispiel BlackRock selbst – auf
Deutsch „schwarzer Fels“. Denn dieser ist gegenwärtig der größte Organisator
kapitalistischen Eigentums in der westlichen Welt. Das verwaltete Vermögen
beträgt 5 Billionen US-Dollar. Das sind etwa 15mal mehr als der Haushalt der
Bundesrepublik Deutschland.
BlackRock hat als Hedgefonds begonnen, ist keine Bank und unterliegt damit nicht
der staatlichen Bankenregulierung. Kapitalorganisatoren dieser Art verwalten das
Geld anderer Leute: von anonym bleibenden High Net Worth Individuals (flüssiges,
sofort anlegbares Kapital ab fünf Millionen US-Dollar), Unternehmensclans,
Unternehmens-Stiftungen, Pensionskassen, von Unternehmen und auch traditionellen
Banken.
Dieses Kapital hat BlackRock unter anderem in etwa 300 der 500 wichtigsten
Aktiengesellschaften des westlichen Kapitalismus angelegt. In Deutschland ist
BlackRock Großaktionär in allen 30 DAX-Konzernen von Adidas über Allianz, BASF,
Bayer, Commerzbank, Deutsche Bank, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Eon,
Lufthansa, HeidelbergCement, Linde, Pro7 Sat1, SAP, Siemens und ThyssenKrupp bis
VW. Neben und mit dem „schwarzen Felsen“ agieren mehrere Dutzend Investoren
dieser Art, etwa Capital World, State Street, Fidelity, Templeton und Vanguard.
Die freuen sich übrigens, dass sie im unwissend gehaltenen allgemeinen Publikum
nach wie vor ganz unbekannt sind.
Die FAZ ist im August 2016 ein bisschen aufgewacht und stellte erstaunt fest:
„BlackRock ist der größte Anteilseigner zum Beispiel der Deutschen Bank, der
niederländischen ING Bank, der englischen HSBC, der spanischen Banco Bilbao, und
der zweitgrößte Anteilseigner von BNP Paribas, Unicredit und Banco Sanpaolo.“
Überall drängen BlackRock und dutzende gleichartiger Investoren auf
Gewinnsteigerung und Kostensenkung. Ein beliebtes Mittel dafür sind
Unternehmens-Fusionen. BlackRock drängt auf die Fusion von Deutscher Bank und
Commerzbank – Blackrock ist bei beiden Miteigentümer. Gegenwärtig organisieren
BlackRock & Co. die Übernahme des US-Agrarchemiekonzerns Monsanto durch den
Chemiekonzern Bayer. Das ist deshalb besonders einfach, weil BlackRock und State
Street und Sun Life Hauptaktionäre nicht nur bei Bayer sind, sondern
gleichzeitig auch bei Monsanto. Abbau von Arbeitsplätzen, Auslagerung und
Verkauf von Unternehmensteilen gehören zum Handwerkszeug. BlackRock, State
Street und Sun Life wollen dabei nicht etwa die schädlichen Praktiken dieser
beiden Agrar- und Giftkonzerne einschränken, sondern die damit verbundenen
Gewinne weiter steigern.
Zum Gewinn trägt auch bei, dass die Aktienpakete dieser Investoren über zwei
Dutzend Finanzoasen verteilt sind. BlackRock selbst hat seinen operativen
Hauptsitz in New York, seinen rechtlichen Sitz aber in der größten
Unternehmens-Finanzoase der Welt, im US-Bundesstaat Delaware. BlackRock & Co.
organisieren auch neue schwarze Löcher des internationalen Finanzsystems: In
dark pools wird ein wachsender Teil der außerbörslichen Aktiengeschäfte und die
gegenseitige Kreditvergabe von Unternehmen und Banken abgewickelt.
BlackRock & Co. haben auch schnell politischen Einfluss gesucht und bekommen.
US-Präsident Barack Obama wie die deutsche Bundeskanzlerin ließen sich wieder
erpressen oder spielten einfach mit. Nach der Finanzkrise beauftragte Obama
BlackRock mit der Sanierung bzw. Abwicklung der bankrotten Banken und
Versicherungen in den USA. Damit wurde BlackRock-Chef Laurence Fink zum
mächtigsten Mann der Wall Street.
Was die US-Regierung macht, muss auch für die EU gut sein: Die Troika aus
Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF beauftragte BlackRock,
die Risikoanalysen für die Bankenrettungen in Irland, Griechenland,
Großbritannien und Zypern zu erstellen. Gleichzeitig mit der Troika war die
BlackRock-Truppe unter Tarnung als Projekt Solar in Athen und unter dem
Decknamen Claire in Zypern. Öffentliches Eigentum wird verscherbelt, Löhne,
Arbeitslosengeld und Sozialleistungen werden gesenkt, Armut wird bewusst
hergestellt – übrigens: nirgends wurden die Ausgaben für das Militär und die
NATO gekürzt, auch nicht in Griechenland, wo das Militärbudget pro Kopf sowieso
schon weit über dem EU-Durchschnitt liegt. BlackRock berät die Europäische
Zentralbank EZB, die nichts zur wirtschaftlichen Gesundung beiträgt, sondern die
Finanzspekulation befördert.
BlackRock holte sich in den US-Aufsichtsrat Cheryl Mills, die Stabschefin der
damaligen Außenministerin Hillary Clinton. Als Europachef holte man sich den
Präsidenten der Schweizer Nationalbank, Philipp Hildebrand. Als Deutschland-Chef
holte man sich jetzt Friedrich Merz, der als CDU-Politiker Sozialleistungen
kürzen und die Mitbestimmung einschränken wollte – bei BlackRock fühlt er sich
jetzt wohl.
Jens Wernicke: Und wie sieht es in der Etage darunter aus, bei den
„Heuschrecken“?
Werner Rügemer: BlackRock, der schwarze Fels, ist mithilfe von Blackstone,
dem schwarzen Stein entstanden. Blackstone agiert ähnlich wie BlackRock, aber
eine Nummer kleiner. BlackRock & Co. sind Miteigentümer der großen
Aktiengesellschaften, während Blackstone & Co. sich in nicht börsennotierte,
lukrative Mittelstandsfirmen einkaufen. Neben Blackstone sind bekannte bzw.
unbekannte Namen solcher „Heuschrecken“ etwa Palmira, KKR, Carlyle, Cinven.
Die bisherigen Familieneigentümer werden ausbezahlt, die Manager werden durch
kleine Aktienpakete zu neuen Miteigentümern. Die Investoren bürden den gekauften
Firmen die Kredite auf, die dann aus den Gewinnen abbezahlt werden müssen. Dafür
werden die Firmen, wie es heißt, „umstrukturiert“, profitabel gemacht:
Betriebsteile werden stillgelegt oder weiterverkauft oder ins Ausland verlagert,
Arbeitsplätze werden abgebaut.
Das rief zu Beginn der 2000er Jahre, als diese Praxis auch in Deutschland
losging – befördert durch Bundeskanzler Gerhard Schröders „Agenda 2010“ –
kurzzeitig heftige Kritik hervor. Der damalige Arbeitsminister Franz
Müntefering, der 2004 die Bezeichnung „Heuschrecken“ populär machte, wurde
allerdings schnell zum Schweigen gebracht. Ich habe das damals mitgekriegt, weil
sein Büro bei mir anrief, ob ich bei einer Konferenz zu den „Heuschrecken“
mitmachen würde – die Konferenz fand nie statt.
Die Leitmedien berichten seitdem manchmal über erfolgte Aufkäufe, aber nicht
über die Folgen. Selbst wenn es um tausende Arbeitsplätze und erpresserische
Methoden der neuen Eigentümer geht, erscheinen jetzt wie beim bekannten
Küchengerätehersteller WMF in Baden-Württemberg und beim Autozulieferer DURA
Automotive Systems in Plettenberg/Sauerland Berichte nur in kleinen Medien.
Dem „lukrativen Beuteschema“, wie es im Handelsblatt heißt, wurden allein in
Deutschland in den letzten Jahren still und leise 5.900 Firmen unterworfen.
Landes- und Bundesregierungen und die Europäische Kommission und die sogenannten
Volksparteien kümmern sich darum nicht.
Jens Wernicke: Als dritte Abteilung nannten Sie die großen
Internet-Plattformen wie Google und Facebook.
Werner Rügemer: Okay, nehmen wir die dritte und die vierte Abteilung
zusammen, auch weil sie durch die digitalen Technologien eng miteinander
verwandt sind.
Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben ein Dutzend US-Konzerne die Führung der
westlichen Internet-Ökonomie übernommen. An der Spitze der digitalen Plattformen
stehen bekanntlich Apple, Google/Alphabet, Microsoft, Facebook und Amazon. Sie
betreiben und kontrollieren die zentralen Knotenpunkte des Internets und dringen
in immer mehr Geschäftsfelder ein. Gewerkschaften und Betriebsräte gelten als
Feinde, jedenfalls, wenn sie auf der Einhaltung menschenrechtlich orientierter
Arbeitsbedingungen bestehen. Man umschmeichelt die Menschen als Konsumenten,
aber degradiert die Menschen als Arbeitende. Man späht die Menschen in beiden
Rollen aus und verwertet ihre informationellen Innereien. Diese Konzerne
unterliegen als Unternehmen mit Hauptsitz in den USA den Auflagen aus dem
Patriot Act und aus den Vorschriften für den Kampf gegen den internationalen
Terrorismus, legen dies aber den Kunden nicht offen.
Ebenso befinden sich die neuen, internetbasierten Unternehmen der Share Economy
wie Uber, Airbnb, Parship/Elite Partners, Upwork, TaskRabbit, Netflix, Spotify,
Lyft und Flixbus mehrheitlich in der Hand von US-Investoren wie Goldman Sachs,
DST Global, Microsoft und Atlantic Partners. Mit deren Krediten kaufen sie
Konkurrenten auf und bilden preistreibende Monopole, zunächst regional, in den
USA, danach in der EU, schließlich global. Vielfach verletzen sie geltende
Regulationen. Die Europäische Kommission und die Regierungen der EU-Staaten
schauen dem Treiben komplizenhaft zu.
Vereinzelt leisten etwa Taxifahrer in US- und europäischen Großstädten
Widerstand; Stadtverwaltungen wie in New York, Amsterdam und Barcelona versuchen
die Zweckentfremdung von Wohnraum einzuschränken. Staatsanwälte in Kopenhagen
ermitteln gegen Uber wegen Beihilfe zu illegalen Taxifahrten. Im französischen
Parlament kümmert sich ein Ausschuss um die verbreitete Steuerhinterziehung.
Eine ganz andere Schädigung ruft die neue Social Media-Ökonomie hervor. Schon
seit Jahrzehnten fördert und organisiert die neoliberal ausgerichtete Wirtschaft
und Politik die Vereinzelung und den Egoismus der Menschen, in ihren
verschiedenen Rollen als abhängig Beschäftigte, Arbeitslose, Konsumenten und
Mediennutzer. Hier steht bekanntlich Facebook an der Spitze. Facebook & Co.
fördern ein menschliches Verhalten, das von individualistischen
Sofort-Reaktionen auf extrem verkürzte Emotionsimpulse geprägt ist.
Diese massenhafte Verhaltenssteuerung wird zwar auch mitvollzogen wegen des
spontan gern geglaubten Versprechens für mehr individuelle Freiheit, ist aber
hochgradig automatisiert. Es blendet die gesellschaftlichen Zusammenhänge aus.
Es schafft illusionäre Räume eines besseren, schöneren, leichteren, ja
paradieshaften und konfliktfreien Lebens, das aber gleichzeitig ausgespäht,
gesteuert und unbemerkt verwertet wird. Und es tendiert zu politisch eher
antidemokratischen Formen und wird zu diesem Zweck auch eingesetzt.
Jens Wernicke: Welchen Zusammenhang zwischen dem Schaffen der alten und
neuen „Finanzmächtigen“ und den immer schlimmer werdenden Entwicklungen um „neue
Unterschicht“, „modernen Sklavenhandel“ und bspw. der Entrechtung und
Verelendung der Massen vermittels Hartz IV sehen Sie?
Werner Rügemer: Die alten Finanzmächtigen, die Banken, wurden nicht
entmachtet, und mit und nach der Finanzkrise konnten sich die neuen
Finanzmächtigen und ihre neuen Praktiken ungehindert ausbreiten. Bisherige,
vergleichsweise sichere, jedenfalls irgendwie regulierte Arbeitsverhältnisse
werden aufgelöst und sollen noch weiter aufgelöst werden.
Das beginnt vergleichsweise harmlos bei den hochkontrollierten, gehetzten
Niedriglöhnern bei Amazon und geht zu den Taxifahrern, die keinerlei
Arbeitsverhältnis zum Konzern Uber haben, sondern alle Risiken ganz alleine
tragen müssen. Die sich ausbreitenden Arbeitsverhältnisse niedrigeren Ranges wie
Teilzeit, befristete Arbeit, Leiharbeit und Werkvertrag sind ja noch irgendwie
halbwegs gesetzlich reguliert, bedeutet aber auch schon verrechtlichtes Unrecht,
bedeutet unsichere und auch verzweifelte Lebensverhältnisse.
Aber was ist das gegen das wachsende Millionenheer der Freelancer, die im
Medienbetrieb sich prostituieren, um eine Ein-Minuten-Sendung, ein Foto, einen
bedeutungslosen Lokalbericht unterzubringen? Um im gnadenlosen, anonymen
Wettbewerb der Cloudworker mal einen Projektvertrag zu schnappen?
Jährlich können es sich die sogenannten Arbeitgeber erlauben, allein in
Deutschland ihren Beschäftigten mindestens eine Milliarde unbezahlte Überstunden
abzupressen – das stellt einen Wert von etwa 40 Milliarden Euro dar. Die 40
Milliarden fehlen unten und sind noch ein weiteres Geschenk für die da oben, die
sowieso im Geld schwimmen. Wobei diese eine Milliarde unbezahlte Überstunden –
sie werden auch in der offiziellen Statistik erfasst – umgeben sind von der
Dunkelziffer der gar nicht dokumentierten Überstunden.
Finanzminister Schäuble hat durch eine Verordnung die Dokumentationspflicht von
Überstunden für bestimmte Mindestlohn-Bereiche abgeschafft, wegen „zuviel
Bürokratie“. Und in der offiziellen Zahl sind auch gar nicht die Überstunden
erfasst, die in akademischen Berufen der Anwälte, Wirtschaftsprüfer,
Unternehmensberater, Betriebswirte bei täglich abgeforderten zehn bis elf
Arbeitsstunden geleistet werden, die teils allerdings irgendwie freiwillig
geleistet werden, weil man aufsteigen oder sich zumindest halten will und weil
die Arbeit zumindest kurzfristig auch Spaß macht.
Wenn BlackRock & Co und Schäuble gleichzeitig immer weiter die Litanei herbeten,
die EU müsse noch „wettbewerbsfähiger“ werden, dann meint das in Wirklichkeit:
Solange die abhängige Arbeit bei uns nicht so billig ist wie in China, solange
sind wir – „wir“! – nicht am Ziel. Wobei, nebenbei gesagt, die Arbeitseinkommen
nirgends so schnell und kontinuierlich steigen wie in China, weshalb westliche
Firmen inzwischen verzweifelt neue Billiglohngebiete etwa in Myanmar und Vietnam
suchen.
Da hat die herrschende Klasse also auch schon vor den „Freihandels“-Abkommen
TTIP und TISA und CETA mit deren einseitiger, absoluter Begünstigung von
Investorenrechten schon sehr viel erreicht.
Jens Wernicke: Die Rede von uns, den 99, und ihnen, dem einen Prozent, ist hier
zwar eingängig, dürfte aber arg beschönigend sein. In Wahrheit eskaliert die
Lage bei schätzungsweise dem Verhältnis: Menschheit gegen einige tausend neuer
Mächtiger weltweit.
Werner Rügemer: So einfach ist es nicht! Kein König regiert allein, obwohl es vielleicht so
scheint oder von Kirche oder Medien inszeniert wird. Die herrschende Klasse hat
ebenfalls ihr Oben und Unten und auch noch ihre Mitte und alle sind bei Gefahr
des Untergangs miteinander in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, ob sie das
wollen oder nicht.
Über das oberste 0,001 Prozent der obersten Etage weiß die Bevölkerung heute
weniger als die analphabetischen Untergebenen des dunklen Mittelalters.
Millionen von mittleren und kleineren Unternehmern und ihr Führungspersonal
tragen die herrschende Ordnung mit und profitieren mit.
Und vergegenwärtigen Sie sich: Allein die „Big Four“ der sogenannten
Wirtschaftsprüfer, also die Konzerne Price Waterhouse Coopers, Ernst & Young,
KPMG und Deloitte haben zusammen 873.000 Mitarbeiter, meist hochbezahlte Profis
der „renommiertesten“ Universitäten.
Übrigens verdienen diese sogenannten Prüfer gleichzeitig auch als Steuerberater
der geprüften Unternehmen, das heißt, bei der Vermittlung von Briefkastenfirmen.
Und nehmen Sie die Unternehmensberater, PR-Berater, Wirtschaftsanwälte, Manager
dazu. Und zu diesen Hilfstruppen und mitprofitierenden Milieus gehören noch
viele andere – den Medien- und Unterhaltungsbetrieb noch gar nicht eingerechnet.
Jens Wernicke: Was bedeutet das nun alles in Summe für uns, für unsere
Lebens- und Arbeitsbedingungen, für „unser“ Land?
Werner Rügemer: Wir, die vielleicht 90 Prozent, müssen uns eingestehen,
dass wir auch hier in der Defensive sind. Wir müssen die neuen Konfliktfelder
erkunden. Gleichzeitig bekomme ich mit, dass es viel mehr vereinzelte
Widerstandsaktionen und Alternativvorstellungen gibt als die sogenannte
Öffentlichkeit und die meisten Aktiven selbst wissen.
Die herrschenden Klassen des westlichen Kapitalismus haben eine epochal geringe
Zustimmung wie schon lange nicht mehr. Allerdings sind sie sehr erfahren dabei,
zu herrschen, zu spalten, zu erpressen und irrezuführen. Da hilft nur eine alte
Weisheit, die aber in ganz neuer Form und Dringlichkeit aktuell ist:
Organisation und Widerstand!
Dieser Text wurde zuerst am 23.12.2016 auf den NachDenkSeiten [..hier]
..veröffentlicht. (Lizenz: CC BY-SA)

Quelle: free21.oerg (verlinkt) |
Jens Wernicke
Jens Wernicke ist Gewerkschaftssekretär und freier Journalist. Er war Mitglied
im SprecherInnenrat der StipendiatInnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie im
Vorstand des freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften (fzs) e.V.
Er
arbeitete unter anderem als Referent für Bildungs- und Hochschulpolitik für die
Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag und ist aktuell Mitarbeiter bei den NachDenkSeiten.
Link zum Originaltext bei ' free21.org ' ..hier
Artikel als PDF-Downlowd:

Quelle: free21.oerg (verlinkt)
Link zum Originaltext bei ' free21.org ' ..hier
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BlackRock, globalisiertes Finanzkapital, Werner Rügemer, Warren Buffett |
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