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![]() 04.01.2017 00:00 Die Kehrtwende der Türkei Präsident Wladimir Putin gab bekannt, dass er mit der Türkei, die bislang die wichtigste Betriebsstütze der Dschihadisten war, einen Waffenstillstand in Syrien ausgehandelt hat. Wie lässt sich dieser überraschende Umschwung erklären? Wird es Präsident Erdogan gelingen, sein Land vom US-amerikanischen zum russischen Einfluss umschwenken zu lassen? Was sind die Gründe und die Folgen dieses großen Richtungswechsels? [Quelle: voltairenet.org] JWD
Von Thierry Meyssan | Voltaire
Netzwerk | Damaskus (Syrien) | 3. Januar 2017 Die Türkei ist Mitglied der Nato, Verbündete von Saudi-Arabien, Chefin des
internationalen Dschihadismus seit dem Krankenhausaufenthalt von Prinz Bandar
ibn Sultan und Schirmherrin der Muslimbrüder seit dem Umsturz von Präsident
Morsi und dem Zerwürfnis zwischen Doha und Riad 2013–14. Außerdem hat sie im
November 2015 Russland angegriffen, als sie eine Suchoi Su-24 zerstörte und den
Bruch der diplomatischen Beziehungen mit Moskau provozierte. ![]() ![]() ![]() Diese Wende erscheint umso schwieriger umzusetzen, als sein Land Mitglied des Atlantischen Bündnisses ist – einer Organisation, aus der noch niemand geschafft hat auszutreten. Vielleicht könnte er sich zunächst aus der integrierten militärischen Kommandostruktur zurückziehen, wie es 1966 Frankreich getan hat. Damals wurde Präsident Charles De Gaulle mit einem Putschversuch und zahlreichen Mordversuchen der OAS, einer durch die CIA finanzierten Organisation, konfrontiert [3]. Geht man davon aus, dass die Türkei diese Entwicklung bewältigt, so müsste sie sich immer noch mit zwei weiteren Problemen befassen. Zunächst lässt sich schätzen, auch wenn die genaue Zahl der Dschihadisten in Syrien und im Irak nicht bekannt ist, dass es heute nur noch zwischen 50 und 200.000 sind. Im Bewusstsein, dass diese Söldner massenhaft unbrauchbar sind – was lässt sich mit ihnen anfangen? Das absichtlich ungenau verfasste Abkommen zur Waffenruhe hält die Möglichkeit offen, sie in Idlib anzugreifen. Dieses Gouvernement ist durch eine ganze Reihe von bewaffneten Gruppen besetzt, die untereinander nicht in Verbindung stehen, sondern durch die Nato von der LandCom in Izmir aus über die „humanitären“ NGOs koordiniert werden. Im Gegensatz zu Daesch konnten diese Dschihadisten sich nicht richtig organisieren und bleiben von der Unterstützung durch das Atlantische Bündnis abhängig. Die erreicht sie über die türkische Grenze, die bald geschlossen werden könnte. Während es jedoch leicht ist, Lastwagen zu kontrollieren, die bestimmte Straßen benutzen, ist es nicht möglich, den Durchmarsch von Menschen über die Felder zu stoppen. Tausende, vielleicht Zehntausende Dschihadisten könnten bald in Richtung Türkei fliehen und das Land destabilisieren. Die Türkei hat bereits begonnen, ihre Rhetorik zu ändern. Präsident Erdogan hat die Vereinigten Staaten beschuldigt, weiterhin die Dschihadisten im Allgemeinen und Daesch im Besonderen zu unterstützen. Dabei lässt er verlauten, dass wenn er dies selbst in der Vergangeheit getan hat, dies unter dem schlechten Einfluss Washingtons passiert wäre. Ankara will Geld verdienen, indem es den Wiederaufbau von Homs und Aleppo an seine Baufirmen und sein Bauwesen vergibt. Allerdings ist schwer vorstellbar, wie die Türkei, nachdem sie Hunderttausende von Syrern dafür bezahlt hat, ihr Land zu verlassen, nachdem sie den Norden Syriens ausgeraubt hat und nachdem sie die Dschihadisten unterstützt hat, die das Land zerstört und Hunderttausende Syrer getötet haben, wie sie sich nach all dem ihrer Verantwortung entziehen könnte. Die Kehrtwende der Türkei wird, sofern sie sich in den nächsten Monaten bestätigt, Kettenreaktionen auslösen. Das fängt damit an, dass Präsident Erdogan sich von nun an nicht nur als Verbündeter Russlands, sondern auch als Partner der Hisbollah und der Islamischen Republik Iran darstellt, das heißt der Helden der schiitischen Welt. Schluss also mit der Fata Morgana eines türkischen Führers der sunnitischen Welt, der die „Ketzer“ mit saudischem Geld bekämpft. Aber dieser innerislamische künstliche Konflikt, den Washington eingefädelt hat, wird nicht aufhören, solange Saudi-Arabien nicht auch davon Abstand nimmt. Das außergewöhnliche Umschwenken der Türkei ist für die Westmächte, für die Politik immer öffentlich ist, vielleicht schwer zu verstehen. Ohne die Verhaftung von türkischen Offizieren in einem Nato-Bunker in Ost-Aleppo vor zwei Wochen heranzuziehen, ist der Schwenk viel einfacher für diejenigen zu erklären, die sich zum Beispiel an die persönliche Rolle von Recep Tayyip Erdogan im ersten Tschetschenien-Krieg erinnern, als er die Millî Görüs leitete – eine Funktion, von der Moskau nie gesprochen hat, über die die russischen Geheimdienste aber zahlreiche Archive bewahrt haben. Wladimir Putin hat lieber einen Feind in einen Verbündeten verwandelt, als ihn fallen zu lassen und weiterhin gegen seinen Staat kämpfen zu müssen. Präsident Baschar al-Assad, Sayyed Hassan Nasrallah und Ajatollah Ali Khamenei sind seinem Beispiel gefolgt.
![]() ![]() [1] “The Syrian cease-fire documents (complete)”, “Resolution 2336 (Syrian Ceasefire, Astana Talks)”, Voltaire Network, 31 December 2016. [2] « La guerre secrète en Italie », par Daniele Ganser, Réseau Voltaire, 6 février 2010. [3] « Quand le stay-behind voulait remplacer De Gaulle », par Thierry Meyssan, Réseau Voltaire, 10 septembre 2001. Quelle : „Die Kehrtwende der Türkei“, von Thierry Meyssan | Übersetzung: Sabine Thierry Meyssan: Französischer Intellektueller, Präsident und Gründer des Réseau Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk : L’Effroyable imposture : Tome 2, Manipulations et désinformations (hg. JP Bertand, 2007). Dieser Beitrag ist unter Lizenz der Creative Commons (CC BY-NC-ND)
Link zum Originaltext bei ' voltairenet.org ' ..hier
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