25.07.2016 14:00
Der Niedergang der Nato
Die Geschichte der Nato und ihre gegenwärtigen Aktivitäten machen verständlich,
wie der Westen seine Lügen konstruiert hat und warum er in Zukunft deren
Gefangener ist. Die Bestandteile dieses Artikels sind schockierend, aber es ist
unmöglich, die Tatsachen zu widerlegen. Man kann sich höchstens an die Lügen
klammern und die Augen auf Dauer schließen. [Quelle:
voltairenet.org] JWD
Von Thierry Meyssan | Voltaire Netzwerk |
Damaskus (Syrien) | 12. Juli 2016
Quelle: Volaire Network TV |
veröffentlicht 10.07.2016
L'Otan chante «We are the world»
Bei ihrem Treffen in Istanbul am
13. Mai 2015 beenden die Führungskräfte der Nato ein
feuchtfröhliches Essen. Sie machen sich lustig über die Dummköpfe,
die ihre Reden von Frieden ernst nehmen und singen „We are the world“.
In diesem unanständigen Video sind General Philip Breedlove, Jens
Stoltenberg, Federica Mogherini und zahlreiche Verteidigungsminister
zu erkennen.
Kürzlich wurde das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Nato in
Warschau abgehalten (7. und 8. Juli 2016). Es sollte den Triumph der Vereinigten
Staaten über den Rest der Welt darstellen, in Wahrheit war es der Anfang des
Zusammenbruchs.
Machen wir uns klar, was das Atlantikbündnis ist.
Was das Bündnis war
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die europäischen Eliten in Panik
gerieten bei der Vorstellung einer möglichen Machtübernahme durch kommunistische
Parteien, stellten sie sich 1949 unter den „Schirm“ der Vereinigten Staaten. Die
Absicht war vor allem, die Sowjets zu bedrohen, um sie von der Unterstützung der
Kommunisten im Westen abzuschrecken.
Schrittweise dehnten die Staaten des Westens ihr Bündnis aus, insbesondere durch
die Aufnahme Westdeutschlands, dem 1955 erlaubt worden war, sein Heer wieder
aufzustellen. In Sorge über die Leistungsfähigkeit des Bündnisses reagierte die
UdSSR sechs Jahre nach der Gründung der Nato mit der Gründung des Warschauer
Paktes.
Doch die beiden Bündnisse entwickelten sich nach Art von Imperien weiter: auf
der einen Seite die Nato, beherrscht von den Vereinigten Staaten und in
geringerem Ausmaß von Großbritannien, auf der anderen Seite der Warschauer Pakt,
beherrscht von der Sowjetunion. Tatsächlich war es unmöglich geworden, diese
Strukturen aufzugeben. Die Nato zögerte nicht, Gladio zu benutzen, um
Staatsstreiche zu organisieren und präventive politische Morde auszuführen,
während der Warschauer Pakt offen Ungarn und die Tschechoslowakei überfiel,
welche Unabhängigkeitsbestrebungen gezeigt hatten.
Bereits vor dem Fall der Mauer in Berlin machte die Sowjetunion Schluss mit
diesem System. Michael Gorbatschow entließ jeden Mitgliedstaat des Warschauer
Paktes in die Unabhängigkeit („My Way“), was er ironisch als seine „Sinatra-Dokrin“
bezeichnete. Als die UdSSR sich auflöste, trieben die Verbündeten auseinander
und es waren mehrere Jahre der Stabilisierung nötig, bis die aktuelle
Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) entstand. Unter
Berücksichtigung der Irrtümer der Vergangenheit gründet sie sich auf die strikte
Gleichheit der Mitgliedstaaten.
Anzumerken ist, dass die Nato wie der Warschauer Pakt Organisationen sind, die
gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoßen, denn die Mitgliedstaaten
verlieren ihre Unabhängigkeit, wenn sie ihre Truppen unter das US-amerikanische
oder das sowjetische Kommando stellen.
Im Gegensatz zu Russland sind die Vereinigten Staaten ein Imperium geblieben und
benutzen weiterhin die Nato, um ihre Verbündeten herumzukommandieren. Das
ursprüngliche Ziel, Druck auf die Sowjets zu machen, damit sie nicht den
Kommunisten im Westen helfen, an die Macht zu kommen, hat keine
Daseinsberechtigung mehr. Einzig die Bevormundung durch die Vereinigten Staaten
bleibt.
1998 lieferte die Nato ihren ersten Krieg gegen einen winzigen Staat (das
gegenwärtige Serbien), der sie in keiner Weise bedroht hatte. Langsam
entwickelten die Vereinigten Staaten die Voraussetzungen für den Konflikt,
bildeten die kosovarische Mafia auf der türkischen Militärbasis Incirlik im
Terrorismus aus, organisierten eine Terrorkampagne in Serbien, beschuldigten
dann die serbische Regierung, sie unverhältnismäßig heftig niederzuschlagen.
Nachdem der Amboss die Mücke zerdrückt hatte, wurde in den Staatskanzleien
festgestellt, dass das Bündnis zu schwerfällig und wenig effizient sei. Also
wurden tiefgehende Reformen in Gang gesetzt.
Die Allianz seit dem 11. September 2001
Mit dem Verschwinden der UdSSR gab es weltweit keinen Staat mehr, der
militärisch mit den Vereinigten Staaten und somit noch weniger mit der Nato
konkurrieren konnte. Sie hätte normalerweise verschwinden müssen, aber das
geschah nicht.
Zunächst tauchte ein neuer Feind auf: der Terrorismus. Dann schlug er in
mehreren Hauptstädten des Bündnisses zu und zwang dadurch die Mitglieder,
einander beizustehen.
Natürlich gibt es keine Relation zwischen dem, was der Warschauer Pakt war und
einer Gruppe Bärtiger in einem Kellerversteck in Afghanistan. Aber alle
Mitgliedstaaten der Nato taten so, als ob sie dies glaubten, weil sie keine Wahl
haben: Das einzige Mittel, ihre Staatsbürger zu schützen, ist die Unterzeichnung
der Nato-Kommuniqués, die Einhaltung der aufgenötigten einheitlichen Rede.
Trotz einer reichen historischen Literatur haben die Westmächte bis heute nicht
verstanden, dass die Nato durch ihre besitzenden Klassen gegen sie geschaffen
wurde und heute von den Vereinigten Staaten gegen ihre Eliten benutzt wird.
Etwas anders liegt der Fall bei den baltischen Staaten und Polen, die erst vor
kurzem in das Bündnis eingetreten sind und dadurch noch im ersten Stadium der
Furcht der Eliten vor den Kommunisten stecken.
Der geografisch fast unbegrenzte Bereich
des Bündnisses
Wäre die Nato ein Verteidigungsbündnis, so würde sie sich darauf beschränken,
ihre Mitgliedstaaten zu verteidigen, aber stattdessen hat sie ihren
geografischen Einsatzbereich erweitert. Bei der Lektüre des Abschlusskommuniqués
von Warschau stellt man fest, dass sie sich überall einmischt: in Korea – wo die
Vereinigten Staaten noch immer nicht den Friedensvertrag mit der demokratischen
Republik unterzeichnet haben –, in Afrika – wo das Pentagon nach wie vor hofft,
das AfriCom unterbringen zu können. Der einzige Teil der Welt, der ihr entgeht,
ist Lateinamerika, die für Washington vorbehaltene Zone („Monroe Doktrin“). An
jedem beliebigen Ort werden die Vasallen des Pentagon aufgefordert, ihre
Soldaten zur Verteidigung der Interessen ihres Lehnsherren auszusenden.
Das Bündnis ist heute in alle Kriege verwickelt. 2011 koordinierte es den Sturz
Libyens, nachdem der Kommandant des AfriCom, General Carter Ham, gegen die
Verwendung von al-Qaida zum Umsturz Muammar Gaddafis protestiert hatte. Seit der
Einrichtung des Allied Land Command 2012 in Izmir in der Türkei hat es auch den
Krieg in Syrien koordiniert.
Nach und nach wurden auch nichteuropäische Staaten mit verschiedenen
Beteiligungsgraden in die Nato integriert. Die zeitlich jüngsten sind Bahrain,
Israel, Jordanien, Qatar und Kuwait, die alle seit dem 4. Mai ein Büro am Sitz
des Bündnisses haben.
Quelle: voltairenet.org (verlinkt)
Der neue Sitz der Allianz in Brüssel wurde für die bescheidene Summe
von einer
Milliarde Dollar erbaut.
Was das Bündnis heute ist
Jeder Mitgliedstaat wird gebeten, sich zu bewaffnen, um an den nächsten Kriegen
teilzunehmen, und dafür zwei Prozent seines BIP zu opfern, auch wenn man
tatsächlich noch weit entfernt ist von diesem Ziel. Die Waffen müssen kompatibel
mit den Nato-Normen sein, es wird darum gebeten, sie in Washington einzukaufen.
Sicherlich sind Reste nationaler Rüstungsproduktion erhalten, aber nicht für
sehr lange. So hat im Laufe der letzten zwanzig Jahre die Nato systematisch
gedrängt, die militärische Luftfahrtindustrie ihrer Mitgliedstaaten, mit
Ausnahme der in den Vereinigten Staaten, zu zerstören. Das Pentagon kündigte die
Entwicklung eines Mehrzweckkampfflugzeuges zu einem unschlagbaren Preis an, den
F-35 Joint Strike Fighter. Alle Staaten haben ihn bestellt und ihre eigenen
Fabriken geschlossen. Zwanzig Jahre später ist das Pentagon noch immer nicht in
der Lage, ein einziges dieser Kampfflugzeuge für alle Zwecke zu produzieren und
muss auf den Rüstungsmessen zusammengebastelte F-22 vorstellen. Bei den Kunden
wird ständig um Finanzierung der Forschung ersucht, während der Kongress die
Wiederaufnahme der Produktion der alten Flugzeuge untersucht, denn
wahrscheinlich wird die F-35 nie realisiert werden.
Die Nato funktioniert also wie ein Unternehmen zur Schutzgelderpressung: Jene,
die nicht zahlen, müssen terroristische Attentate aushalten.
Nachdem die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten in die Abhängigkeit von ihrer
Rüstungsindustrie getrieben hatten, hörten sie auf, sie weiter zu entwickeln.
Währenddessen hat Russland seine Rüstungsindustrie neu aufgebaut und China ist
dabei, dies zu erreichen. Bereits jetzt haben die russischen Streitkräfte das
Pentagon in konventioneller Ausrüstung überholt. Das System, das sie im Westen
Syriens, im Schwarzen Meer und in Kaliningrad stationieren konnten, erlaubt
ihnen, die Nato-Befehle zu blockieren, weshalb die Nato auf die Überwachung
dieser Regionen verzichten musste. Und für die flugtechnische Ausrüstung stellt
Russland bereits Mehrzweckkampfflugzeuge her, die die Piloten der Allianz vor
Neid erblassen lasssen. China dürfte ebenfalls in konventioneller Ausrüstung die
Nato innerhalb der beiden nächsten Jahre überholen.
Die Verbündeten erleben also den Niedergang der Allianz, der auch der ihre ist,
mit Ausnahme von Großbritannien ohne zu reagieren.
Der Fall Daesh
Nach der Hysterie Anfang der 2000er Jahre in Bezug auf al-Qaida bedroht uns ein
neuer Feind: der Islamische Staat im Irak und in der Levante, „Daesch“. Alle
Mitgliedstaaten sind aufgefordert, der „weltweiten Koalition“ (sic) beizutreten
und ihn zu besiegen. Der Warschauer Gipfel hat sich beglückwünscht zu den im
Irak und selbst in Syrien errungenen Siegen trotz „dem militärischen Eingreifen
Russlands, seiner bedeutenden militärischen Präsenz und seiner Unterstützung des
Regimes“, die eine „Gefahrenquelle und zusätzliche Herausforderungen für die
Sicherheit der Verbündeten bilden“ (sic) [1].
Nachdem jeder sehr wohl verstanden hat, dass der Islamische Staat 2006 von den
Vereinigten Staaten gegründet worden war, versichert man uns nun, die
Organisation habe sich jetzt gegen die USA ausgerichtet, wie man es uns schon
hinsichtlich al-Qaida vorgesetzt hatte. Dennoch kam am 8. Juli, während die
Syrische Arabische Armee verschiedene terroristische Gruppen, darunter Daesch,
im Osten von Homs bekämpfte, die Luftwaffe der Vereinigten Staaten diesen
Gruppen zuhilfe und deckte sie vier Stunden lang. Diese Zeit wurde von Daesh
genutzt, um systematisch die Pipeline zu zerstören, die Syrien mit dem Irak und
Iran verbindet. Und bei den Attentaten des 4. Juli in Saudi-Arabien
(insbesondere gegenüber der US-Botschaft in Jeddah, auf der anderen
Straßenseite) benutzte Daesch High-Tech-Militärsprengstoff, über den heute nur
das Pentagon verfügt. Es ist somit nicht schwer zu begreifen, dass das Pentagon
mit der einen Hand Daesch in bestimmten Gebieten bekämpft, während es ihm mit
der anderen Hand in anderen Gebieten Waffen liefert und logistische
Unterstützung gibt.
Das ukrainische Beispiel
Der andere Buhmann ist Russland. Seine „aggressiven Handlungen (…)
einschließlich seiner provozierenden militärischen Aktivitäten an der Peripherie
des Nato-Territoriums und seine erwiesene Absicht, politische Ziele durch
Drohung oder Gewaltanwendung zu erreichen, bilden eine Quelle regionaler
Instabilität, stellen eine fundamentale Herausforderung für das Bündnis dar“
(sic).
Das Bündnis wirft ihm die Annexion der Krim vor, was korrekt ist, wobei es den
Kontext dieser Annexion unterschlägt: den von der CIA in Kiew organisierten
Staatsstreich und die Einsetzung einer Regierung, zu der Nazis gehören. Kurz,
die Nato-Mitglieder haben sämtliche Rechte, während Russland die Verträge
verletzt, die es mit der Allianz geschlossen hat.
Der Gipfel von Warschau
Der Gipfel hat den Vereinigten Staaten nicht erlaubt, alle Lücken zu schließen.
Großbritannien, das soeben seiner „besonderen Beziehung“ ein Ende setzte, indem
es aus der Europäischen Union austritt, weigerte sich, seine Beteiligung an der
Allianz zu steigern, um die Belastungen, die es in der EU aufgekündigt hat,
wettzumachen, Um Fragen auszuweichen, ging London in Deckung hinter seinem
kommenden Regierungswechsel.
Höchstens zwei Entscheidungen konnten getroffen werden: permante
Militärstützpunkte an der russischen Grenze einzurichten und den
Raketenabwehrschild zu entwickeln. Da die erste Entscheidung im Gegensatz zur
Verpflichtung der Nato steht, griff man zu der Vorgehensweise, dass die Truppen
sich so abwechseln, dass es kein permanentes Kontingent gibt, aber immer
Soldaten anwesend sein werden. Die zweite besteht darin, das Staatsgebiet der
Verbündeten zu nutzen, um US-Soldaten und ein Waffensystem dorthin zu entsenden.
Um die Bevölkerung der Länder, die sie besetzen werden, nicht zu kränken, haben
die Vereinigten Staaten es akzeptiert, den Raketenschutzschild nicht unter ihr
Kommando, sondern das der Nato zu stellen. Das bedeutet nur auf dem Papier eine
Veränderung, denn der oberste Befehlshaber des Bündnisses, zur Zeit General
Curtis Scaparrotti, ist zwangsläufig ein US-amerikanischer Offizier, der allein
durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten ernannt wird.
Thierry Meyssan: Französischer Intellektueller, Präsident und Gründer des Réseau
Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über
ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen
Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk : L’Effroyable imposture :
Tome 2, Manipulations et désinformations (hg. JP Bertand, 2007).
Dieser Beitrag ist unter Lizenz der Creative Commons
(CC BY-NC-ND)
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