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30.03.2012 20:00
Degenerierter Finanzkapitalismus zerstört Demokratie
Mit dem Titel - „Neoliberaler“ Kapitalismus versus Demokratie -
kommentiert Wolfram Elsner* die Finanzkrise sowie Systemkrise – und warum der
degenerierte Finanzkapitalismus selbst mit formaler Vertretungsdemokratie
unverträglich geworden ist. [Quelle:
nds.de]. JWD
Kommentar von Wolfram Elsner: Crash-Kurs „Finanzkrise“? Es ist bereits alles
gesagt!
Wo fängt man an, und wo hört man auf mit einer Analyse zu „Krise&Co“ in diesen
turbulenten, ja geradezu „historischen“ Zeiten? Ich werde gar nicht erst
versuchen, einen Crash-Kurs in „enthemmtem Finanzkapitalismus“ zu geben. [..]
Wir erleben es am eigenen Portemonnaie, an den eigenen Lebensbedingungen,
unseren Lebensgefühlen und unseren Zukunftschancen. Und daher wissen die
Menschen im Grunde alles, was man wissen muss. Alles, was man wissen muss, um
gemeinsam und öffentlich zu handeln. Die Menschen sind im Grunde schon viel
klüger, als die Politiker sie haben wollen – obwohl die Ablenkungs- wie auch die
Drohsysteme noch funktionieren.[..]
„Neoliberalismus“, eine erste erfahrungsbasierte Annäherung: Blutige
Generalprobe 1973 und aktuell erlebbares staatliches Aggressions- und
Gewaltpotential
Historisch müsste man vor 40 Jahren anfangen, als der „neoliberale“
Generalangriff auf den in Jahrzehnten von unten, v.a. durch die
Arbeiterbewegungen, erkämpften, wohlfahrtsstaatlich gezähmten Kapitalismus, auf
jeglichen gesellschaftlichen Zusammenhalt und
jegliche Solidarität begann. [..]
„Neoliberalismus“ – Enthemmung des Kapitalismus, Stufe I: Umverteilung und
staatliche Herstellung von Mega-Reichtum bei den Wenigen
[..] Die Strategie der systematischen Staatszerstörung und des systematischen
Ausblutens des Staates mit dem Ziel, den Staat (sozial, kollektiv)
handlungsunfähig zu machen und seine Finanzierung abhängig zu machen vom Geld
der privaten Spekulationsindustrie (vulgo: „Finanzmärkte“), also den wenigen
hundert Top-Entscheidern im o.g. herrschenden Finanzoligopol sowie ihrer
weltweit wenigen hundert super- und megareichen privaten Aktionäre und Gläubiger
[..]. Damit wird die staatliche soziale Handlungsfähigkeit und Kompetenz
systematisch in Richtung null gedrückt. Der „neoliberale“ Staat wird sozial,
kulturell, ökologisch und zukunftsbezogen komplett inkompetent gemacht, von der
Spekulationsindustrie abhängig und finanziert – von ihr jederzeit beliebig zu
Tode spekulierbar und (davor und danach) von ihr beliebig an die Kandare zu
nehmen. [..]
„Neoliberalismus“, Stufe II: Das ungleichste System seit Menschengedenken –
„Oligarchie“? „Plutokratie“? … Eine globale Gläubiger-Schuldner-Ökonomie
Seitdem es Statistiken über Einkommens- und Vermögensverteilungen gibt (in einem
der Weltsozialberichte der UNO konnten vor wenigen Jahren Verteilungsdaten seit
etwa dem Jahre 1800 rekonstruiert werden) hat es eine Ungleichheit wie heute,
sowohl in räumlicher als auch sozialer Hinsicht, noch nicht gegeben.
Einige wenige hundert Megareiche (s.o.) besitzen heute fast so viel wie die
unteren 50% der Weltbevölkerung, also wie 3,5 Mrd. Menschen. Davon hungern
heute so viele wie noch nie, über 1 Mrd. Menschen, ein weiterer der sich
häufenden traurigen „neoliberalen“ Weltrekorde. Die Reichen wurden von den
„neoliberalen“ Regierungen aller Couleur seit Jahrzehnten gezielt zu
Superreichen gemacht, die Superreichen zu Megareichen, und die Megareichen zu
Gigareichen. Das ungleichste System seit Menschengedenken! [..]
„Neoliberalismus“, Stufe III: Privatisierung nationalen öffentlichen
Vermögens, Sozialisierung von Spekulationsschrott, internationale Expansion und
globales Aufsaugen alles Werthaltigen in die Gewinnmassen
[..] Ihre schlimmsten Spekulationspapiere aber haben die Banken aktuell bereits
dem künftigen Steuerzahler und Sparer qua Verstaatlichungen von Bad Banks, qua
Landesbanken und v.a. qua Zentralbanken in die Taschen geschoben: Dafür hat der
„Neoliberalismus“, außer- und oberhalb von Gesellschaft und Demokratie, die
größten Lobby-Organisationen der Weltgeschichte geschaffen, Lobby-Organisationen
der Banken, die der Steuerzahler bezahlt und verbürgt, eben die Zentralbanken.
Die nehmen ihnen für werthaltiges Frischgeld die Schrottpapiere.. [..]
Herr Marx über Kapitalverbrechen …
Und da kommt eben dieser Karl Marx noch mal ins Spiel**, der die andere Seite der
Kapitalmotivation und -bewegung – nicht die über die sinkende Profitrate auf
explodierende Vermögenswerte „drückende“, sondern die über die letzten großen
Chancen für die Profitrate „ziehende“ Seite – folgendermaßen illustriert hat:
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Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und
man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent,
positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze
unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es
nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.“ (Karl Marx, Das
Kapital, Bd. 1, MEW 23, p. 788, Fn. 250.)
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[..] Im enthemmten globalen Finanzkapitalismus hat der Herr Ackermann (ja,
der, der seinen Geburtstag im Bundeskanzler(innen)amt feiern durfte) aber das
Benchmark „25% Rendite“, über alles und dauerhaft, ausgeben – und weitgehend
auch realisiert. Und mit 25% (statt 100 oder 300%) muss der gehobene
Finanzkapitalist im globalen und intertemporalen Durchschnitt (d.h. über den
Konjunktur- oder Blasenzyklus hinweg) heutzutage schon zufrieden sein – und ist
es wohl auch (was, wie gesagt, im Einzelfall mal 100 oder 300% nicht
ausschließt).
Die Frage ist aber dennoch weniger: Wie bescheiden ist der Kapitalist geworden,
dass er schon mit 25% zufrieden ist? Als vielmehr: Wie geht das überhaupt bei
nahe null Prozent im Durchschnitt real (s.o.)? Und der Verdacht kommt auf, dass
er heutzutage schon für 25% die Verbrechen begehen muss, die Herr Marx für 100
und 300% angedeutet hat...
„Neoliberalismus“, Stufe IV: Die Welt im Fadenkreuz der Profitrate, vulgo:
Krieg – Ein globales Kriegs(droh)regime
Für die Absicherung der absurden Selbstaufhebung des Kapitalismus zugunsten der
Bilanzen und Profitraten des Spekulationssektors [..] müssen [..] auch ganz
banal Kriege, v.a. die neuen brutalen, „robust“ genannten, Kriege gemacht
werden, die mit den neuen Waffentypen, mit abgereichertem Uran, mit den
„intelligenten“ Waffen, die Kriege, in denen die Länder „mutig“ zusammengebombt
werden...
„Neoliberalismus“, Stufe V: Die Zukunft von Demokratie und nationaler
Souveränität – Schrumpfende Halbwertzeit „neoliberaler“ Politiker und ihr
weicher Fall, und eine implodierende Legitimationsbasis
Dass die gigantische globale Umverteilung von unten nach oben, die Verschonung
und Mästung der privaten Großvermögen, die perfekte staatliche Hängematte und
Vollkaskoversicherung für die Megareichen, die Umverteilung allen
gesellschaftlichen Wohlstands in die Profitraten der gigantischen fiktiven
Kapitale – mit welcher Begründung auch
immer, am Anfang: „Sie werden ihren Reichtum investieren zum Wohle aller!“
(Hayek, Thatcher, Blair, Schmidt, Schröder …), am Ende nur noch: „Sie sind zu
groß, als dass wir sie Pleite gehen lassen könnten!“ (Merkel, Steinbrück) –,
dass das Herausstampfen von Billionen € durch Fiski und Zentralbanken, die
perfekte gesellschaftliche Handlungsunfähigkeit und gemachte
Alternativlosigkeit, dass das alles mit Demokratie immer weniger vereinbar
ist, ist nicht nur unmittelbar plausibel, sondern in den letzten wenigen
Jahren und Monaten auch immer unmittelbarer spürbar geworden....
Nationale Souveränität ist also längst mega-out: Im griechischen
Finanzministerium diktieren der IWF, die EU-Kommission im Auftrag von „Merkozy“
und die EZB, und sie leiten die Gelder der EFSF und des ESM 1:1 direkt durch zu
den deutschen und französischen Banken und zu den deutschen und französischen
Rüstungskonzernen, die aus Griechenland das Land mit der größten
Pro-Kopf-Rüstungsausstattung in der OECD gemacht haben...
[..] Und Politiker, die brav ihre „neoliberalen“ antisozialen Untaten
„durchgezogen“ haben, verbrauchen sich dabei immer schneller, werden immer
schneller aus ihren Ämtern gewählt, ja manchmal sogar verjagt – und unter
solchen Umständen wird die Halbwertszeit von Politikern immer kürzer,
verbrauchen sie und ihre Parteien ihren Ruf in der Regierung schneller, als sie
ihn in der Opposition wieder aufbauen...
[..] Am Ende aber werden sie im Industrie- und Finanzwesen weich aufgefangen:
Hunderte ehemaliger Abgeordneter, Minister und Staatssekretäre verdienen in
ihrer Post-Politik-Karriere bei Industrie, Beratungsunternehmen und
Finanzkonglomeraten als „Frühstücksdirektoren“, die nur noch ihre alten
politischen Connections spielen lassen müssen, dann auch noch mal richtig großes
Geld. So lohnt sich das vorangegangene Leiden als Politiker...
„Neoliberalismus“, Stufe VI: „Es gibt keine Gesellschaft. Am Anfang und am
Ende der Profitrate: Sozialhass – Existenzunsicherheit schaffen und die
Sicherheit des Knasts versprechen … und die letzten politischen Aufgebote?
Der Neoliberalismus hat uns in einem vier Jahrzehnte währenden
ideologischen Krieg nicht nur ein Zerrbild von „Markt“ und „Marktwirtschaft“
verordnet – vielleicht eine der größten Lügen der
Wirtschafts(theorie)geschichte überhaupt –, er entpuppt sich heute auch
endgültig als das, was er von Anfang an war: eine Ideologie des Hasses
gegen alles Soziale, Gemeinschaftliche, bewusst Handelnde, gegen jegliche
kollektive, vorausschauende Rationalität.
Ganz im Sinne des Leitspruchs von Margaret Thatcher: „Es gibt keine
Gesellschaft!“ Und die großen ökonomischen Erfinder des „Neoliberalismus“, A.
von Hayek und M. Friedman, waren konsequent politisch-kämpferisch, stolz, dem
Volksschlächter Pinochet die Hände zu schütteln und für ihn Programme
auszuarbeiten (die im Übrigen keineswegs unintelligent waren)…
So nehmen sie, die Nixon, Thatcher, Reagan, Kohl und Merkel und meistens auch
die Blair, Schröder, Fischer und Steinbrück – und nahmen sie auch schon unter
geordneteren Bedingungen eines Vor-Krisen-Neoliberalismus“ – den Menschen
elementaren sozialen, staatlichen, kollektiven Schutz, Sicherheit, Wohlstand und
Zukunftschancen, Zukunftsplanung, also alles, wozu Gesellschaft und Staat einst
erfunden wurden, und fahren am Ende bei Wahlen sogar noch die politische Ernte
einer Strategie der Zerstörung von Gesellschaft, Staat und Realökonomie ein:
indem sie den Menschen die „Sicherheit“ des autoritären Überwachungsstaates, des
Knastes, als Ersatz anbieten...
[..] Thatcher hat es als erste erfolgreich praktiziert. Bisher hat es immer noch
funktioniert. In den letzten Monaten scheint es in arabischen Ländern und in
Südeuropa, in Südamerika und selbst in den USA allerdings nicht ganz mehr
reibungslos zu funktionieren.
Link zum vollständigen, 33seitigen Kommentar von Wolfram Elsner (PDF)
..hier
Anmerkung: Ein wohl in allen Einzelheiten zutreffender, lesenswerter
Kommentar, der zeigt, wie krank und hochgradig gefährlich unser
Wirtschaftssystem bereits geworden ist. Die aktuell modische Dusselei, von unserem ach so freiheitlich
demokratischen Rechtsstaat wird ins richtige Licht rückt. Es geht um die Freiheit
weniger und um die Versklavung vieler und es geht um Mord und Totschlag.
Es geht nicht um Solidarität und
Wohlstand für alle Menschen, wie dies noch von einem Ludwig Erhardt angestrebt
wurde. Der degenerierte Kapitalismus hat aufgehört den Menschen zu dienen.
Soziale Markwirtschaft gibt es schon lange nicht mehr, da die Voraussetzungen,
nämlich Wirtschaftseinheiten ohne dominante wirtschaftliche Macht längst nicht
mehr vorhanden sind, bzw. im globalen Spiel bedeutungslos und so etwas
wie scheinselbstständig geworden sind. Wer heute sagt: wir hätten soziale Marktwirtschaft,
belügt sich selbst und uns alle.
*) Prof. Dr. Wolfram Elsner (iino, Universität Bremen).
Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Bereich
Wirtschaftspolitik/Wirtschaftsstrukturforschung/Evolutionäre und Institutionelle
Ökonomik an der Universität Bremen [Quelle: Uni Bremen
..hier]
**) Elsner bezieht sich im Abschnitt "Kapitalismus Stufe I" bereits auf die
marxsche Gleichung, wonach mit steigendem Kapitaleinsatz (c+v) zwangsläufig die
Profitrate (m) sinkt, weshalb sich der vorhandene Spardruck für profitschädliche
Kostenfaktoren generiert
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